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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Verbrechens und sie werde nicht dort schlafen. Jack bot ihr sein
Schlafzimmer oder das Gästezimmer an, doch Mrs. Oastler sagte ihm, sie habe für
sie beide ein Zimmer im Shutters reserviert. Schließlich würden sie ja dort im [602]  Restaurant essen. »Da können wir genausogut auch dort übernachten«, sagte
sie.
    »Wir?« fragte er.
    »Ich kann jetzt nicht allein bleiben«, sagte sie zu ihm. »Wenn du
mit Emma in einem Bett geschlafen hast, ohne es mit ihr zu treiben, dann kannst
du das ja wohl auch mit mir, Jack.«
    Er stellte ihre kleine Reisetasche auf den Rücksitz des Audi und fuhr
mit ihr zum Shutters. Die Sonne war schon untergegangen, doch ein blaßrosa
Schimmer diente der Santa Monica Pier als Hintergrundbeleuchtung; die Lichter
des Riesenrades waren an. Auf der Promenade unterhalb des One Pico sausten
unaufhörlich Inlineskater vorbei. Leslie trank zu ihrem Salat eine Flasche
Rotwein; Jack trank zu seinem Unmengen von Eistee.
    »Ich frage mich, welchen literarischen Nachlaß du eigentlich
verwalten sollst«, bemerkte Mrs. Oastler. (Während sie weggegangen war, um sich
im Hotel anzumelden, hatte Carlos zu ihm gesagt, er habe ihn lange nicht mit
einer so gutaussehenden Begleiterin gesehen.)
    »Ihren Roman, vielleicht«, sagte Jack.
    »Was würdest du denn damit machen?«
    »Vielleicht wollte Emma, daß ich entscheide, ob er
veröffentlichungsreif ist oder nicht«, erwiderte er.
    »Es gibt ihn gar nicht, Jack. Es gibt keinen dritten Roman. Nicht
ihr Roman ist zu lang geraten, sondern der Zeitraum, in dem sie nichts
geschrieben hat«, sagte Leslie.
    »Hat dir Emma das erzählt?« fragte er, weil es ihm plötzlich
plausibel vorkam.
    Mrs. Oastler zuckte die Achseln. »Emma hat mir nie irgendwas
erzählt, Jack. Hat sie denn mit dir geredet?«
    »Nicht über ihren dritten Roman«, räumte er ein.
    »Es gibt keinen dritten Roman«, wiederholte Leslie.
    Wie sich herausstellte, hatte Leslie Alan Hergott angerufen. [603]  Alan
hatte sich ihr gegenüber vage geäußert: das Dokument sei »literarischer Natur»;
tatsächlich hatte Emma ausdrücklich bestimmt, daß ihre Mutter von dem Verfahren
ausgeschlossen werden sollte. Sogar die Verlesung des Testaments finde im
kleinsten Kreis statt, hatte Alan ihr gesagt; nur Bob Bookman und Jack dürften
hören, wie Emma über ihren Nachlaß verfügt hatte.
    »Vermutest du nur, oder weißt du, daß es
keinen dritten Roman gibt – nicht einmal ein Fragment?« fragte Jack.
    »Ich vermute es nur«, gab Mrs. Oastler zu. »Bei Emma habe ich immer
nur Vermutungen angestellt.«
    »Ich auch«, sagte er.
    Überraschenderweise nahm Mrs. Oastler seine Hand. Er betrachtete ihr
hübsches Gesicht – die strahlenden, dunklen Augen, den Mund mit den dünnen
Lippen und dem verführerischen Lächeln, die vollkommen gerade kleine Nase – und
fragte sich, wie aus einem so schlanken, straffen Körper je ein Geschöpf von
Emmas übergroßen Dimensionen hatte hervorgehen können.
    Was Mrs. Oastler sagte, überraschte ihn. »Emmas Tod war nicht deine
Schuld, Jack. Du warst der einzige Mensch, an dem ihr etwas lag. Sie hat mir
einmal gesagt, sich um dich zu kümmern, sei das einzige gewesen, was ihr
wichtig war.«
    »Mir hat sie das nie gesagt«, gab er zu. Es wäre ein guter Zeitpunkt
zum Weinen gewesen, aber er konnte immer noch nicht. Und wenn es stimmte, daß
Leslie Oastler irgendwann zusammenklappen würde, so war dieser Augenblick jetzt
offensichtlich ebenfalls noch nicht gekommen.
    »Laß uns bezahlen«, sagte Leslie. »Ich kann es gar nicht abwarten zu
erleben, wie es ist, in einem Bett mit dir zu schlafen und es nicht mit dir zu treiben.«
    Jack fand, sie sollten seiner Mutter sagen, wo sie übernachteten.
Alice würde sich um Leslie Sorgen machen – und in geringerem Maße auch um ihn.
Wenn seine Mom nun in dem Haus am Entrada Drive anrief und nur den
Anrufbeantworter bekam? [604]  Sie würde die ganze Nacht versuchen, ihn auf seinem
Handy zu erreichen.
    »Ich rufe sie an, während du im Bad bist«, sagte Mrs. Oastler.
    Er hatte vergessen, eine Zahnbürste mitzunehmen. Aus einer ganzen
Reihe von Gründen, die in der Vergangenheit zu suchen waren, verspürte Jack
wenig Neigung, Leslies Zahnbürste zu benutzen, aber er nahm einen Klacks von
ihrer Zahnpasta und verteilte ihn mit dem Zeigefinger auf seinen Zähnen.
    »Du kannst gern meine Zahnbürste benutzen, Jack«, sagte Mrs. Oastler
durch die geschlossene Badezimmertür hindurch. »Du mußt sogar, wenn du im Sinn
hast, mich zu

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