Bis ich dich finde
Emotionen, Überanstrengung oder eine Störung des
Elektrolytgleichgewichts ausgelöst werden – letztere wiederum könne durch
Alkoholgenuß oder Sex hervorgerufen werden.
Der Junge aus dem Coconut Teaszer – sein Name wurde nie publik –
sagte, Emma sei so unvermittelt auf ihm zusammengesunken, daß er geglaubt habe,
dies sei einfach ihre Art von Sex – bei ihm sei es das erste Mal gewesen. Er
hatte sich genau an das gehalten, was Emma ihm gesagt hatte; er hatte sich
nicht bewegt. (Wahrscheinlich war er dazu viel zu verängstigt gewesen.) Nachdem
er es geschafft hatte, sich Emmas letzter Umarmung zu entwinden, hatte er die
Polizei angerufen.
Weil es sich bei dem Syndrom um eine Erbkrankheit handelte, wurden
auch Emmas Hinterbliebene darauf untersucht. Die einzige Hinterbliebene war
Leslie Oastler, und sie zeigte keinerlei Anzeichen für die Störung. Ihr Exmann,
Emmas Vater, war mehrere Jahre zuvor gestorben – offenbar im Schlaf.
»Wirklich das Letzte«, hatte Leslies Kommentar gelautet.
Jack kam nach Hause, ehe er Zeit fand, sich auf Mrs. Oastler
vorzubereiten. Im Flugzeug hatte er an Emma gedacht – nicht an Leslie. (Er
hatte über seine Gefühlsarmut nachgegrübelt – sofern das denn der richtige
Ausdruck für sein Defizit war.)
Leslie Oastler brach über ihn herein wie ein Unwetter. »Ich kenne
Leslie«, hatte Alice gesagt. »Irgendwann klappt sie zusammen.« Von Gram war bei
Mrs. Oastlers allerdings noch nichts zu sehen – nur von ihrem Zorn.
[598] Sie hieß ihn an der Tür willkommen. »Scheiße, wo ist Emmas Roman,
Jack? Der neue, meine ich.«
»Ich weiß nicht, wo Emmas Roman ist,
Leslie.«
»Und wo ist dein Roman, Jack? Oder wie
immer du das nennst, was du angeblich schreibst. Scheiße, du hast ja noch nicht
mal einen Computer!«
»Ich arbeite nicht zu Hause«, antwortete er. Das war nicht direkt
gelogen – was den Teil seines Lebens anging, der dem Schreiben vorbehalten war,
arbeitete Jack nirgendwo.
»Du hast ja noch nicht mal eine Schreibmaschine!« sagte Mrs.
Oastler. »Schreibst du etwa alles mit der Hand?«
»Ja. Zufällig schreibe ich gern mit der Hand, Leslie.« Auch das war
nicht direkt gelogen. Was an Schreibarbeit bei ihm anfiel – Einkaufszettel,
Randnotizen in Drehbüchern, Autogramme – erledigte er stets handschriftlich.
Mrs. Oastler hatte Emmas Computer gefilzt. Sie hatte unter
sämtlichen Namen, die ihr nur einfielen, nach Emmas Roman gesucht; keine Datei
in Emmas Computer hatte einen Namen, der das Wort Roman, die Zahl Drei oder das Wort dritter, dritte oder drittes enthielt. Es fand sich auch nichts, was dem Titel
eines in Arbeit befindlichen Werkes ähnelte.
Der Junge aus dem Coconut Teaszer mußte sehr glaubwürdig gewesen
sein, denn die Polizei hatte das Haus am Entrada Drive zu keinem Zeitpunkt als
Tatort behandelt. Und weil es sich bei Emma um eine berühmte Autorin handelte –
der Junge hatte allerdings nicht gewußt, daß sie Schriftstellerin war –, hatten
sowohl die Polizei als auch Emmas Arzt ihre Arbeit zügig erledigt, ohne viel
Durcheinander anzurichten.
Mrs. Oastler dagegen war regelrecht über das Haus hergefallen. Der
Schaden, den Emmas jäher Tod auf dem Jüngling aus dem Coconut Teaszer
angerichtet hatte, war minimal im Vergleich mit Leslies hektischer Suche, die
einem Einbruch zwecks Beschaffung von Drogen ähnelte: herausgerissene
Schubladen, [599] aufgerissene Schränke, verstreute Kleider. Sie hatte einige von
Jacks Boxershorts in Emmas Schlafzimmer und eine Unterhose und zwei BH s von Emma unter Jacks Bett gefunden; sie hatte auch
Emmas geheimes Pornofilmlager entdeckt. »Habt ihr sie euch zusammen angeguckt?«
fragte Mrs. Oastler.
»Manchmal – aus Recherchegründen«, sagte Jack.
»Quatsch!«
»Laß uns woanders hingehen, Leslie – ich lade dich zum Essen ein.«
Jack versuchte sich vorzustellen, was Mrs. Oastler bei ihrer Suche sonst noch
gefunden haben mochte.
»Habt ihr miteinander gevögelt oder nicht?« fragte sie ihn.
»Absolut nicht«, sagte er. »Kein
einziges Mal.«
»Wieso nicht?« wollte sie wissen. Auf diese Frage wußte Jack keine
überzeugende Antwort; er blieb stumm. »Ihr habt in einem Bett geschlafen, aber
ihr habt es nicht miteinander getrieben – hat man sich das so vorzustellen,
Jack?« Er nickte. »Wie die Drehbuchlektorin und der Pornostar in Emmas
deprimierendem Roman?« fragte Leslie.
»So ungefähr«, war alles, was er sagte. Jack wollte Mrs. Oastler
nicht den Eindruck vermitteln, er sei für Emma
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