Bis ich dich finde
flüsterte Bonnie ihm ins Ohr: »Wir können das
alles überwinden, Jack. Ich habe mit einem Psychiater darüber gesprochen, wie
man am besten darüber hinwegkommt. Wir können es einfach hinter uns lassen.«
Sie hörte nicht, daß er in ihrem Schoß »Wie?« fragte; seine Stimme
wurde von ihren Oberschenkeln gedämpft. Ihre Finger fuhren ihm durchs Haar und
streichelten seinen Nacken.
» Normaler Sex, Jack – das ist die beste
Methode, um über ein schreckliches Erlebnis hinwegzukommen«, sagte Bonnie
Hamilton zu ihm.
Wie sehr sich Jack wünschte, Emma hätte das hören können! Hätte
nicht schon der bloße Gedanke an normalen Sex ihr
einen Kick gegeben?
War es etwa Schicksal? Hatten Bonnie und Jack einander nicht einst
angesehen und den Blick nicht mehr voneinander wenden können? Und damals war er
in der vierten und sie in der zwölften Klasse gewesen!
Außerdem war er Jack Burns. Hieß es nicht, daß er mit allen schlief?
Wie hätte sich Bonnie Hamilton wohl gefühlt, wenn er mit ihr, einem Krüppel, nicht geschlafen hätte?
Trotzdem gab es Jack zu denken – sie war eindeutig durchgedreht.
Offenbar sah ihm Bonnie seine Vorbehalte an, als sie endlich seinen Kopf aus
ihrem Schoß freigab. Ihr Selbstbewußtsein geriet ins Wanken; sie wurde
plötzlich schüchtern. »Bitte denk nicht, daß ich dich zwingen will, Jack. Du armer Junge!« rief sie. »Du bist schon genug gezwungen worden!«
Sie wich in ihrem Rollstuhl vor ihm zurück; es war ein [653] verstörendes Bild. Jack hatte die Vorstellung, sie spulten einen Film
zurück, sie gingen in der Zeit zurück. Jeden Moment würde Mrs. Machado wieder
auftauchen; er konnte spüren, wie sie hinter der Biegung im Korridor hervorkam,
wieder aus den Schatten trat.
Unter diesen Umständen beschloß Jack, mit Bonnie zu gehen.
Die ganze Nacht lang, im Four Seasons, hinkte Bonnie Hamilton
kein einziges Mal vor Jack. Sie hinkte nicht, als sie sich hinlegte. Als sie
aufstand, um auf die Toilette zu gehen, und als sie sich am nächsten Morgen
anzog, bat sie ihn, nicht hinzusehen.
Jack tat kein Auge zu. Er hatte zuviel Angst davor, Alpträume von
Mrs. Machado zu bekommen. Im Dunkeln, als er – obwohl hellwach – den ersten
Alptraum nahen spürte, fragte er Bonnie, ob sie die stämmige kleine Frau
gesehen habe, mit der er im Flur gesprochen hatte. Mag sein, daß sein Körper
Bonnie die Sicht genommen hatte; aus der Perspektive des Rollstuhls hatte sie
den Eindruck gehabt, er rede mit sich selbst. »Ich habe gedacht, daß du
vielleicht schauspielerst«, sagte sie.
Das bewies nicht, daß Mrs. Machado ein Gespenst war oder daß er sie
sich nur eingebildet hatte. An Jacks Krawatte haftete ein Haar; er sah es, als
er sich zum Schlafengehen auszog. (Grauer und drahtiger, als es seine oder
Bonnie Hamiltons Haare waren, und niemand sonst hatte den Kopf an seine Brust
gelegt.) Und dann war da noch der zweite Knopf seines Hemdes: Er war schon
offen, als Jack sich in jener Nacht auszog. Das ließ ihn schaudern.
Natürlich war der Trick mit dem Knopf die Ursache der Alpträume, vor
denen sich Jack fürchtete – nicht wegen des Tricks an sich, den er so viele
Jahre lang glücklich verdrängt hatte, sondern wegen der Ereignisse, zu denen er
geführt hatte. Wegen all der anderen Spiele, die Mrs. Machado gespielt hatte!
Es verriet Mitgefühl, daß Bonnie Hamilton mit ihm wach [654] blieb.
Natürlich betrachtete sie ihre gemeinsame Nacht als Therapie, und vielleicht
war es das auch. Für diese Nacht, wenn auch nicht für all die anderen Nächte,
die ihr folgten, nahm Bonnie dem Trick mit dem Knopf den Schrecken.
[655] 25
Tochter Alice geht nach Hause
Alice
und Leslie Oastler störten sich daran, daß Jack die Trauerfeier für Emma in St.
Hilda verließ, ohne sich zu verabschieden. Ein unverwüstliches Häuflein von
Ehemaligen – nämlich Mrs. Oastlers frühere Klassenkameradinnen – hatten Leslie
und Alice zum Essen eingeladen. Von Jack wurde erwartet, daß er sich anschloß,
oder wenigstens, daß er nicht mit einer Frau im Rollstuhl abzog. (In Anbetracht
seines Rufes, was äl-tere Frauen anging, glaubten seine Mutter und Mrs. Oastler
zunächst, er habe sich mit Rollstuhl-Jane davongemacht!)
Zweifellos wurde Jacks emotionsgeladener Abgang mit Bonnie Hamilton
von mehreren Augenzeugen – darunter auch die ständig auf den Lippen kauende
Lucinda – stark übertrieben geschildert. Lucinda hatte, wahrscheinlich in
stiller Wut, beobachtet, wie Peewee Bonnies Rollstuhl
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