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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sich
gestritten hatten.) Der alte Cowboy ließ sich so behutsam darauf nieder, wie er
sich vermutlich auch auf einem Bronco zurechtgesetzt hätte.
    »I want you, I want you, / I want you so bad«, näselte Bob Dylan. »Honey I want you.«
    »Sie sind ein Full-body, stimmt’s?« fragte Alice den Cowboy, der
noch immer zitterte.
    »Fast«, antwortete er. Es war keine Tätowierung zu sehen – nur das
unaufhörliche Frösteln.
    Der Cowboy war mindestens zehn Jahre älter, als es William Burns
nach Jacks Schätzung sein mußte; dennoch verspürte Jack sofort einen Stich, als
wäre es sein Vater, der vor Kälte schlotterte. Der alte Hippie mühte sich mit
zitternden Händen, einen seiner Cowboystiefel auszuziehen. Jack kniete nieder
und half ihm dabei; der Stiefel saß so eng, daß die Socke mit herunterkam. Sein
nackter Fuß war verblüffend weiß. Unter dem Hosenbein lugte der Schädel eines
Longhornrindes hervor, der die Knöchelgegend komplett bedeckte; der Feueratem
aus dem offenen Maul des Schädels leckte über den Spann des ansonsten blanken
Fußes.
    Der Cowboy machte keine Anstalten, auch den anderen Stiefel
auszuziehen. (Jack vermutete, daß der andere Fuß wie der Rest des Mannes
tätowiert war.)
    »Ich hab nur noch eine freie Stelle«, sagte der Cowboy-Hippie zu
Alice. »Die haben Sie vor sich.«
    [676]  »Ihre Hände und Ihr Gesicht sind auch frei«, sagte Alice zu dem
Cowboy.
    »Das müssen sie auch bleiben, Lady, wenn ich eine interessante
Arbeit finden will.«
    Wie auch früher schon oft, stahl sich Jack einfach davon. Er goß
seinen Tee in die Spüle und schob sich zur Tür.
    »Ich sehe dich dann zu Hause, Mom«, sagte er leise. Er war sich
ziemlich sicher, daß ihr kleines Gespräch vorbei war, und dumm genug zu
glauben, daß auch das Katz-und-Maus-Spiel ein Ende hatte.
    »Legen Sie sich hin – machen Sie es sich bequem«, sagte Alice zu dem
Cowboy, ohne einen Blick in Jacks Richtung. Der alte Hippie streckte sich auf
der Couch aus, und Alice breitete eine Decke über ihn.
    Bob stöhnte sich abermals durch den Refrain; es ist ein nicht enden
wollendes Lied, über dem Jack gleichwohl das Zähneklappern des Cowboys hören
konnte.
     
    I want you, I want you,
I want you so bad,
Honey, I want you.
    »Nimm Leslie mit, Liebes«, sagte seine Mutter, als Jack zur Tür
hinausging; noch immer sah sie ihn nicht an, sondern widmete statt dessen ihre
ganze Aufmerksamkeit dem Cowboy. Die Tür schloß sich bereits, als Alice ihrem
Sohn nachrief: »Es spielt keine Rolle mehr, Jack. Von mir aus kannst du sogar
mit ihr schlafen!«
    Mit diesem kleinen, von seiner Mutter beiläufig hingeworfenen
Schreckensszenario im Gepäck ging Jack die Südseite der Queen Street entlang,
bis er ein Taxi in Richtung Osten erwischte, das ihn zum Four Seasons
zurückbrachte. Bei Jacks Fans am [677]  Empfang kam leichte Hektik auf, als er zum
zweitenmal an diesem Tag aus dem Four Seasons auscheckte. Jack mochte keine
Unordnung. Es störte ihn, daß er chaotisch, ja orientierungslos wirken mußte,
aber er verfolgte einen Plan.
    Er würde in den Gästeflügel von Mrs. Oastlers »Anwesen« (wie er es
früher genannt hatte) in Forest Hill einziehen. Er würde in Emmas Zimmer
schlafen, mit dem er – zumal was das Bett anging – vorwiegend liebevolle
Erinnerungen verband. Er würde Emmas Schreibtisch, ein ziemlich großes
Möbelstück, in sein früheres Zimmer schaffen, wo Mrs. Machado ihn mißbraucht
hatte; dieses so sehr mit dem Verlust seiner Unschuld behaftete Zimmer würde er
als Arbeitszimmer benutzen. Fügte man diesem Paket, wie Alice es vielleicht
genannt hätte, seine todkranke Mutter und Leslie Oastler hinzu, hatte er für
die Vollendung seiner (oder Emmas) Adaption von Die
Schundleserin ein phantastisches Klima geschaffen.
    Das Drehbuch und Emmas Notizen waren bereits in seiner Handschrift
transkribiert. Er hatte das Manuskript mitgebracht, um daran zu arbeiten.
Alles, was er brauchte, war noch etwas Schreibpapier und ein paar zusätzliche
Stifte. Wie sich herausstellte – und bei jemandem, der so gern einkaufte wie
sie, war das nicht weiter erstaunlich –, lief Leslie gleich los und besorgte
ihm das Schreibmaterial. (Sie kaufte ihm sogar eine neue Lampe für Emmas
Schreibtisch.)
    Leslie war Jack dankbar dafür, daß er sie nicht mit seiner Mutter
allein ließ, zumal angesichts von Alice’ Stimmungs- und
Persönlichkeitsschwankungen.
    Zunächst gab es Jack zu denken, daß er werktags den ganzen Tag mit
Mrs. Oastler allein

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