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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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mir
zusammensein wollte, warum hätte ich ihn dann mit dir zusammensein lassen
sollen?«
    »Vielleicht, damit ich einen Vater
habe?«
    »Wer weiß, was für ein Vater er gewesen wäre, Jack. Bei einem
solchen Mann kann man nie wissen.«
    »Hat er mich in Toronto gesehen, Mom? Hat er mich zu Gesicht
bekommen, als ich noch ein Baby war – bevor du ihn weggescheucht hast?«
    »Was fällt dir ein!« sagte seine Mutter. »Ich habe ihn nicht
weggescheucht. Ich habe dich ihm bis zum Gehtnichtmehr gezeigt! Er durfte dich
jedesmal sehen, wenn er darum gebeten hat – jedenfalls von weitem!«
    »Er hat darum gebeten? Was meinst du mit
›von weitem‹, Mom?«
    »Na ja, ich habe dich nicht mit ihm allein gelassen«, erklärte sie.
»Er durfte nicht mit dir sprechen.«
    Was verschwieg sie ihm?, fragte sich Jack. Was paßte hier nicht
zusammen? War er als Kind seinem Vater gleichsam zur Ansicht präsentiert worden, vielleicht um William zu verleiten, auf Alice’ Bedingungen
einzugehen und mit ihr zusammenzuleben? »Nur damit wir uns richtig verstehen«,
sagte Jack zu seiner Mutter. »Er durfte mich sehen, aber um mehr Kontakt mit
mir zu haben, hätte er dich heiraten müssen.«
    »Er hat mich geheiratet, Jack – allerdings
nur unter der Bedingung, daß wir uns sofort wieder scheiden lassen!«
    »Ich dachte, es wäre Mrs. Wicksteeds Idee gewesen, daß ich seinen
Namen trage – damit es so aussieht, als wäre ich ein eheliches Kind«, sagte
Jack. »Ich wußte nicht, daß du ihn tatsächlich geheiratet hast!«
    »Mrs. Wicksteed war der Auffassung, daß du nur dann berechtigt bist,
seinen Namen zu tragen, wenn er mich heiratet und [671]  wir uns dann scheiden
lassen«, sagte seine Mutter zu ihm – als wäre das eine Bagatelle ohne
weiterreichende Bedeutung.
    »Also muß er damals in Toronto – als wir dort waren – eine ganze
Weile dagewesen sein«, sagte Jack.
    »Gerade mal lange genug, um zu heiraten und sich scheiden zu
lassen«, sagte Alice. »Und du warst noch ein Säugling. Ich wußte, du würdest
dich nicht an ihn erinnern.« (Offensichtlich hatte sie nicht gewollt, daß Jack
sich an William erinnerte.)
    »Aber meine Wohltäterin war doch Mrs. Wicksteed, nicht wahr?« fragte
Jack. »Wir haben doch mietfrei bei ihr gewohnt, oder?«
    »Mrs. Wicksteed war der Inbegriff der Großzügigkeit!« sagte seine
Mutter indigniert, als hätte er Mrs. Wicksteeds Charakter und ihre guten
Absichten in Frage gestellt. Dabei hatten sie für ihn niemals in Zweifel
gestanden.
    »Wer ist für alles aufgekommen, Mom?«
    »Größtenteils Mrs. Wicksteed«, erwiderte Alice frostig. »Dein Vater
hat gelegentlich ausgeholfen.«
    »Er hat Geld geschickt?«
    »Das war ja wohl das mindeste!« rief seine Mutter. »Ich habe William
nie um einen Penny gebeten – er hat einfach geschickt, was er erübrigen
konnte.«
    Aber das Geld mußte von irgendwoher gekommen sein, machte sich Jack
klar; sie mußte jederzeit gewußt haben, wo sich William gerade aufhielt.
    »Womit wir in Kopenhagen wären«, sagte Jack. »Wir haben nicht direkt
nach ihm gesucht, oder? Du mußt schon gewußt haben, daß er dort war.«
    »Du hast ja deinen Tee gar nicht angerührt, Liebes. Stimmt etwas
nicht damit?«
    »Bist du mit mir nach Kopenhagen gefahren, um mich ihm zu zeigen?«
fragte Jack sie.
    »Manche Menschen, Jack – besonders Männer – sind der [672]  Meinung, daß
alle Babys gleich aussehen, daß Säuglinge alle gleich sind. Aber du warst schon
mit vier Jahren etwas Besonderes. Du warst ein bildhübscher kleiner Junge,
Jack.«
    Ganz allmählich fing er an zu begreifen: Sie hatte ihn als Köder benutzt! »Wie oft hat mein Dad mich gesehen?« fragte
Jack. »Ich meine, in Kopenhagen.« (In Wirklichkeit wollte er wissen, wie oft
sie William, um es mit einem ihm geläufigen Begriff aus der Filmbranche zu
sagen, den Deal angeboten hatte.)
    »Jackie –«, sagte seine Mutter und bremste sich dann, als hätte sie
in ihrer Stimme einen mahnenden Unterton entdeckt, wie sie ihn ihm als Kind
gegenüber angeschlagen hatte. Als sie neu ansetzte, klang ihre Stimme anders,
brüchig und flehend, wie die einer Frau, bei der Krebszellen vom Gefühlszentrum
des Gehirns Besitz ergreifen. »Auf einen so prächtigen Jungen wie dich wäre
jeder Vater stolz gewesen, Jack. Welcher Vater hätte sich nicht gewünscht
mitzuerleben, wie ein gutaussehender junger Mann aus dir wird?«
    »Aber du hast ihn nicht gelassen«, erinnerte Jack sie.
    »Ich habe ihm die Wahl gelassen!« sagte sie

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