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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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war. Ihm bangte ein wenig davor, daß sie sich ihm in
leichtgeschürztem Zustand an den Hals werfen könnte. Immerhin hatte seine
Mutter ihm nicht nur die Erlaubnis erteilt, mit Leslie zu schlafen – sie ermutigte Leslie auch wiederholt, mit Jack zu schlafen.
(Etwa wenn Mrs. Oastler nach dem [678]  Essen das Geschirr abwusch und Jack im
Wohnzimmer Musik hörte, während seine Mutter es sich auf der Couch bequem
gemacht hatte.)
    »Leslie, warum schläfst du heute nacht nicht mit Jack?« rief Alice
dann in Richtung Küche.
    »Mom, Herr des Himmels –«
    »Nein, danke, Alice!« rief Mrs. Oastler in Richtung Wohnzimmer.
    »Versucht es doch mal – vielleicht gefällt es euch ja«, sagte Alice
eines Abends beim Essen zu ihnen. »Du schnarchst doch nicht, oder, Jack? Er
hält dich bestimmt nicht wach, Leslie – jedenfalls nicht so wie ich. Ich meine,
er hält dich bestimmt nicht die ganze Nacht wach.«
    »Bitte hör auf, Alice«, sagte Leslie.
    »Was glaubst du denn, wie lange ich realistischerweise noch mit dir
schlafen kann?« fauchte Alice sie an. »Du wirst ja wohl hoffentlich nicht mehr
mit mir schlafen, wenn ich im Koma liege!«
    »Mom, Leslie und ich wollen gar nicht miteinander schlafen«, sagte
Jack.
    »Doch, das wollt ihr, Liebes«, sagte seine Mutter. »Willst du nicht
mit Jack schlafen, Leslie? Aber natürlich willst du das!« sagte sie fröhlich,
ehe Mrs. Oastler antworten konnte.
    Es blieb Jacks Vorstellungskraft überlassen, was für einen
Kuddelmuddel Alice aus ihrer Dreisamkeit gemacht hätte – einer Beziehung, die
ebenso schwierig war wie die zwischen einer zu zart gebauten Schundleserin und
einem zu stark gebauten Pornostar und Drehbuchautor! Jack lebte, wie er es sich
erhofft hatte, buchstäblich in der perfekten Atmosphäre, um sein (oder Emmas)
Drehbuch fertigzustellen.
    Das Manuskript selbst geriet zu einer innigen Vermählung von Plagiat
und eigenständiger Urheberschaft; einer Verbindung von gewiefter Kommerzialität
und jenem gleißenden Lichtstrahl, in [679]  dem vertraute, aber trotzdem
verblüffende Staubteilchen schweben. (»Diese ganz gewöhnlichen, aber gut
ausgeleuchteten Dinge, die uns bei einem guten Film am stärksten in Erinnerung
bleiben«, hatte Emma gesagt.)
    Vielleicht lag es daran, daß Jack sich ganz der Aufgabe widmete, aus
Emmas bestem Buch einen Film zu machen, gewiß aber auch daran, daß er und Mrs.
Oastler beide Opfer der eskalierenden Entgleisungen seiner Mutter waren –
jedenfalls verlor Jack die Angst, Leslie könnte sich ihm in leichtgeschürztem
Zustand an den Hals werfen. Größtenteils ließ sie ihn zufrieden.
    Wenn er sich nach unten in die Küche wagte, um sich eine Tasse Tee
zu machen oder um einen Apfel oder eine Banane zu essen, saß Mrs. Oastler oft
am Küchentisch – als ob Alice gerade erst aus dem Haus gegangen wäre oder jeden
Moment zurückerwartet würde. Dann teilte ihm Leslie in denkbar knappster Form
irgendeine neue Einzelheit oder zusätzliche Information mit, die ihr von seinem
Vater im Gedächtnis geblieben war.
    Meistens machte sie einen erschöpften Eindruck auf ihn. Ihre
Erinnerung an das, was Alice ihm im Hinblick auf seinen Vater verschwiegen
hatte, kehrte unverhofft und in den unerwartetsten Momenten wieder, so daß Jack
in ihrer Gesellschaft extrem schreckhaft reagierte – hauptsächlich deshalb,
weil er nie wußte, welches Geheimnis sie vielleicht plötzlich enthüllen würde.
Unglücklicherweise hatte das den Effekt, daß Mrs. Oastler so wirkte, als habe
sie mit Jack geschlafen, was Alice keineswegs entging.
    »Du hast mit ihm geschlafen, Leslie, stimmt’s?« fragte seine Mutter
regelmäßig, wenn sie vom Daughter Alice nach Hause kam.
    »Nein, das habe ich nicht«, sagte daraufhin Mrs. Oastler, die noch
immer am Küchentisch saß, als hätte sie dort Wurzeln geschlagen.
    »Du siehst aber so aus«, sagte Alice dann zu ihr. »Du siehst so aus,
als bumst dich irgendwer dumm und dußlig, Leslie.«
    [680]  Es wäre zu einfach gewesen, das auf den Tumor zu schieben – zu
bequem, dem Krebs die Schuld an Alice’ empörendem Verhalten zu geben. Doch
selbst ihre Sprache veränderte sich. Nicht Intonation und Artikulation, die
leuchtende Beispiele für Miss Wurtz’ entschlossene Ausmerzung von Alice’
schottischem Akzent blieben, sondern ihre Ausdrucksweise, die zunehmend so
vulgär daherkam, wie es Emma immer gewesen war, wie
es Leslie sein konnte und wie es Alice unentwegt an
Jack meinte kritisieren zu müssen. (»Seit

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