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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Kalifornien«, wie sie es ausdrückte.)
    Jacks Arbeit ging indessen voran. Er zeigte Mrs. Oastler sogar eine
Rohfassung des Drehbuchs; sie hatte gesagt, sie brenne darauf, es zu lesen. Zu
Jacks Verwunderung war sie davon sehr bewegt und fand, daß es sich
ausgesprochen genau an das Original hielt. Sie nahm sich sogar die Zeit, eine
Liste der Dinge zusammenzustellen, in denen es von dem Roman abwich. Das war
nicht als Kritik gedacht – Mrs. Oastler wollte Jack lediglich zeigen, daß sie
die Abweichungen bemerkt hatte. Zu den vielen Unterschieden gehörten natürlich
auch die Dinge, die entweder Emma oder aber Jack auf Emmas Vorschlag geändert
hatte. Und einige Änderungen stammten ausschließlich von ihm.
    »Gefällt es dir denn?« fragte er Leslie.
    »Ich finde es großartig, Jack«, sagte sie mit Tränen in den Augen.
    Für Jack war es sein Erstlingswerk; literarische Anerkennung war ihm
nie zuteil geworden. Deshalb änderte sich etwas in seiner Beziehung zu Mrs.
Oastler. Was sie vereinte, war mehr als die unheilbare Krankheit seiner Mutter;
sie beide verband, daß Emma ihm die Gelegenheit gegeben hatte, einen Film aus Die Schundleserin zu machen, und daß er Leslie in diesen
Vorgang einbezog.
    Einander nähergebracht wurden sie auch von Alice’ Weigerung, mit
Jack über seinen Vater zu reden – wodurch das, was Mrs. Oastler über das Thema
wußte, zur Bürde wurde und sie [681]  zunehmend unter Druck geriet, Jack alles zu
erzählen. Am schlimmsten – auf lange Sicht aber vielleicht auch am besten –
war, daß es Leslie Oastler und Jack zueinander hinzog, weil Alice sich
unbegreiflicherweise hartnäckig bemühte, die beiden praktisch dazu zu zwingen,
daß sie miteinander schliefen, was sowohl Leslie als auch Jack auf gar keinen
Fall tun wollten, jedenfalls nicht, solange Alice noch am Leben war und es so
rücksichtslos und mit aller Macht darauf anlegte. (Und dies letztere wurde natürlich
gerade dadurch erschwert, daß Alice trotz ihres Wahns in einem Punkt recht
hatte: Leslie und Jack hatten zunehmend Lust, miteinander zu schlafen.)
    Alice war fraglos verrückt, aber wieviel von ihrer Verrücktheit den
Brustkrebszellen in ihrem Gehirn und wieviel ihrer niemals nachlassenden Wut
auf William Burns geschuldet war, sollten Mrs. Oastler und Jack niemals
erfahren.
    Eines Nachts fand Jack seine Mutter nackt und schlafend in Emmas –
also angesichts der veränderten Umstände seinem –Bett
vor, und als er sie weckte, sagte sie zu ihm, sie bleibe, wo sie sei, damit er
mit Leslie schlafen könne. Jack ging in seinem alten Zimmer (seinem neuen
Arbeitszimmer) schlafen, in ebenjenem Bett, in dem Mrs. Machado auf so unschöne
Weise zu seiner Erziehung beigetragen hatte.
    Der Vorfall wiederholte sich nicht, aber es gab andere. Eines Tages
rief die Polizei Mrs. Oastler an, um ihr zu sagen, daß das Daughter Alice
»offensichtlich geschlossen« habe – sämtliche Lichter seien gelöscht und die
Jalousien heruntergelassen. Doch im Laden singe in höchster Lautstärke Bob
Dylan – sogar Passanten hätten sich beschwert. So erfuhren Leslie und Jack, daß
Alice das Studio mittlerweile gewohnheitsmäßig schloß, kaum daß sie geöffnet
hatte, und den ganzen Tag auf dem Schlafsofa döste. In letzter Zeit höre sie in
ihrem Kopf Geräusche, die sie nachts wach hielten, erklärte Alice ihnen. (Laut
Mrs. Oastler war Alice entweder hellwach oder sie schnarchte.)
    [682]  »Was denn für Geräusche, Alice?« fragte Leslie sie.
    »Unverständliche«, antwortete Alice. »Stimmen, vielleicht – aber
nicht deine oder die von Jack. Niemand, dem ich unbedingt zuhören will.« (Daher
Bob in höchster Lautstärke; daher die Beschwerden.)
    »Falls es auf dem Weg zu deinem Tod noch eine Kurve gab, Alice, dann
hat es dich jetzt rausgetragen«, sagte Mrs. Oastler zu ihr.
    »Jetzt ist sie auf einmal Schriftstellerin !«
rief Alice und schlug Jack auf die Schulter, deutete dabei jedoch spöttisch auf
Leslie. »Ich lebe mit einem Schriftstellerpärchen zusammen!«
    Vor seinem geistigen Auge sah Jack, was er zu übersehen versucht
hatte, als er seine Mutter nackt und schnarchend in seinem (früher Emmas) Bett
vorgefunden hatte: die Schlaffheit ihrer Brüste im Schlaf, und daß sich die
Tätowierung ihres gebrochenen Herzens im Gegensatz zur perfekten Plazierung auf
ihrer jüngeren Brust leicht verschoben hatte. Mittlerweile hatte die
Tätowierung Schlagseite, als wäre Tochter Alice’ Herz schon irreparabel
geschädigt gewesen, bevor William

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