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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Burns es gebrochen hatte. Noch im Schlaf
waren schwache Striemen zu sehen, wo die Unterbruststäbchen ihres BH s beide Brüste gekerbt hatten, und im Licht aus dem
Badezimmer – die Tür war angelehnt – schimmerte die Narbe von Alice’
Lumpektomie unnatürlich weiß, genau wie die Narbe in der Achselhöhle, wo die
Lymphknoten entfernt worden waren. (Diese Narbe hatte Jack nie zuvor gesehen.)
    »Wenn ihr doch bloß endlich miteinander vögeln würdet!« brüllte seine Mutter eines Abends und schlug mit geballter Faust auf
den Tisch, daß Jack und Mrs. Oastler zusammenfuhren. »Ich wette, ihr beiden
Schriftsteller wärt nicht so poetisch, wenn ihr den
ganzen Tag miteinander vögeln würdet!«
    [683]  Obwohl das Drehbuch immer besser wurde, hatte Jack kaum je
das Gefühl, poetisch zu sein. Daß seine Mutter sich weigerte, es zu lesen, kam
nicht überraschend, tat aber trotzdem weh. (»Bis du den Film drehst, bin ich
sowieso schon tot, Liebes«, hatte sie zu ihm gesagt.)
    Wenn es in den letzten Tagen seiner Mutter im Haus jemanden gab, der
Poesie ausstrahlte, dann hätte Jack gesagt, daß es Leslie war, die eines frühen
Nachmittags in der Tür seines provisorischen Arbeitszimmers erschien – eine
bisher nicht dagewesene Störung. Sie war nackt. An ihrer im Bereich der Rose
von Jericho geröteten Haut erkannte er, daß sie an ihrer Tätowierung gekratzt
hatte. Sie schluchzte.
    »Ich bereue, daß ich mir je diese Tätowierung habe machen lassen«,
sagte sie. Sie wirkte überhaupt nicht verführerisch.
    »Das tut mir leid, Leslie.«
    »Das Leben zwingt uns genügend endgültige Entscheidungen auf«, fuhr
Mrs. Oastler fort. »Wir sollten so vernünftig sein, die unnötigen tunlichst zu
vermeiden.«
    Jack saß einfach nur an Emmas Schreibtisch, während Mrs. Oastler
sich von ihm abwandte und den Flur entlangging. »Darf ich das verwenden,
Leslie?« rief er ihr nach. (Ihm fehlte noch ein entscheidender Satz für Michele
Mahers Kommentar aus dem Off, und nun hatte er ihn gefunden.) »Was du gerade
gesagt hast– darf ich das verwenden?«
    »Na klar«, sagte Mrs. Oastler so leise, daß Jack sie kaum verstand.
    Als sie für die Rolle der Michele Maher schließlich Lucia Delvecchio
verpflichteten, sagte diese, es sei der Off-Kommentar gewesen, dessentwegen sie
die Rolle gewollt habe – das und die Gewißheit, daß sie zwanzig Pfund würde
abnehmen müssen, um Michele spielen zu können. Miramax setzte diesen Satz aus
dem Off auf das Filmplakat und in sämtliche Anzeigen für den Film: »Das Leben
zwingt uns genügend endgültige Entscheidungen [684]  auf. Wir sollten so vernünftig
sein, die unnötigen tunlichst zu vermeiden.«
    »Bingo!« rief Jack Mrs. Oastler den Flur entlang nach. Aber sie war
schon in ihr Zimmer gegangen und hatte untypischerweise die Tür geschlossen.
    Dann war da die Nacht, in der Leslie in Jacks Zimmer kam, wo er
gerade schlief – doch auch diesem Besuch ging jede Aura von Verführung ab.
Mittlerweile weckten plötzlich erinnerte Informationsschnipsel – vergessene
Einzelheiten über seinen abwesenden Vater – Mrs. Oastler zu allen Nachtstunden,
und das ebenso regelmäßig wie Alice’ Schlaflosigkeit im Wechsel mit ihrem
Schnarchen oder die eher gewalttätigen Zwischenfälle, bei denen Alice mit den
Fäusten auf Leslies Rücken einschlug, und zwar nur deshalb, weil sie beim
Aufwachen feststellte, daß Leslie ihr den Rücken zukehrte, was in ihrer
Beziehung anscheinend verboten war.
    Weder Alice noch Mrs. Oastler konnten sich daran erinnern, wann
diese Regel aufgestellt und ob sie überhaupt je eingehalten worden war, aber
das hinderte Alice nicht daran, auf Leslie loszugehen. Diese war schon dankbar,
wenn Alice nicht darauf bestand, die ganze Nacht Bob Dylan durchs Haus plärren
zu lassen – was er laut Polizeibericht im Daughter Alice den ganzen Tag tat.
    »Wenn es mit mir zu Ende geht, Jack – dann bringst du mich dorthin«,
hatte seine Mutter zu ihm gesagt. Er wußte, daß sie von ihrem Studio sprach.
»Wenn es mit mir zu Ende geht, schlafe ich in den Nadeln – nirgendwo sonst,
Liebes.«
    In diesem Kontext weitgehender Schlaflosigkeit kroch eines Nachts
Mrs. Oastler zu ihm ins Bett; sie griff so unvermittelt, aber ohne das
Bedürfnis nach intimerem Kontakt erkennen zu lassen, nach seinem Penis, daß er
zuerst glaubte, Emmas Geist habe ihn gepackt. (Immerhin war es Emmas Bett.)
    [685]  »Ich muß mit dir reden, Jack«, sagte Leslie. »Es ist mir egal, ob
deine Mutter glaubt, daß wir

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