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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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obwohl dort ganz schön fremdgegangen wird.
Aber ich bin jedesmal zurückgekommen.«
    »Mich verläßt du aber auch«, sagte Jack. »Wann wolltest du es mir
denn sagen?«
    »Der einzige Mensch, von dem ich je wollte, daß er sich meinetwegen
quält, war dein Vater, Jack, und er hat sich schlicht geweigert. Er wollte mich
nicht, obwohl er wußte, daß ich dich dann nie mit ihm zusammensein lassen
würde.«
    Vielleicht lag es am Zusammensein mit Maureen Yap, daß Jack sich
fragte, ob er die Worte seiner Mutter falsch verstanden hatte, doch an der Art,
wie sie sich plötzlich voll und ganz seiner Tasse Tee widmete, konnte er
erkennen, daß sie vielleicht etwas mehr gesagt hatte, als sie hatte sagen wollen.
    [668]  »Er wollte mit mir zusammensein?«
fragte Jack.
    » Ich bin diejenige, mit der es zu Ende
geht, Liebes. Findest du nicht, du solltest dich nach mir erkundigen?«
    Er sah zu, wie sie einen überfließenden Teelöffel Honig in seinen
Tee gab; wie Mrs. Oastler am Küchentisch zitterten auch ihr leicht die Hände,
als sie seinen Tee umrührte.
    Jack wußte, daß er sie nicht falsch verstanden hatte. Sie hatte
eindeutig gesagt, William habe sie nicht gewollt, obwohl sie ihn dann niemals mit ihm, Jack, zusammensein lassen würde. Als seine
Mom ihm seine Tasse Tee reichte – sie wirkte dabei noch immer in jeder Hinsicht
wie das unschuldige Opfer –, beschloß Jack, sich diesmal nicht aufhalten, nicht
abwimmeln zu lassen.
    »Wenn mein Dad mit mir zusammensein wollte«, hakte er nach, »warum
ist er dann vor uns geflüchtet? Ich meine, überall, wo wir hingefahren sind.
Warum war er, in einer Stadt nach der anderen, immer schon weg, bevor wir dort
angekommen sind?«
    »Der Krebs sitzt in meinem Gehirn – ich nehme an, das weißt du«, erwiderte
seine Mutter. »Es würde mich nicht wundern, wenn mein Gedächtnis beeinträchtigt
wäre.«
    »Fangen wir mit Halifax an«, fuhr Jack fort. »Ist er aus Halifax
weggegangen, bevor du dorthin gekommen bist? Falls er bei deiner Ankunft immer
noch dort war, wollte er doch bestimmt bei meiner Geburt dabeisein.«
    »Er war bei meiner Ankunft noch dort«, räumte Alice mit dem Rücken
zu Jack ein. »Ich wollte nicht, daß er bei deiner Geburt dabei ist.«
    »Er ist also nicht direkt vor dir davongelaufen«, sagte Jack.
    »Hat dir Leslie von meinen Stimmungsschwankungen erzählt?« fragte
seine Mutter. »Sie sind nicht immer nachvollziehbar und entsprechen selten dem,
was man erwartet.«
    »Ich vermute mal, es ist auch Quatsch, daß ich per Kaiserschnitt auf
die Welt gekommen bin«, sagte Jack zu ihr. »Daß ich [669]  dich nicht nackt sehen
durfte, lag nicht an einer Kaiserschnittnarbe. Da gab es etwas anderes, was ich
nicht sehen durfte. Stimmt’s?«
    »Leslie hat dir die Fotos gezeigt – dieses Miststück!« sagte Alice.
»Eigentlich solltest du sie erst nach meinem Tod zu sehen kriegen!«
    »Warum sollte ich sie überhaupt zu Gesicht kriegen?« fragte er.
    »Ich war einmal schön!« rief seine Mutter. (Sie meinte ihre Brüste,
in jüngeren Jahren – er sprach von ihrer Tätowierung.)
    »Ich habe darüber nachgedacht – über deine Tätowierung, meine ich«,
sagte Jack zu ihr. »Ich wette, es ist ein Tatovør-Ole aus Kopenhagen. Du hast
sie schon ganz lange.«
    »Ja, natürlich ist es ein Tatovør-Ole, Jack. Ole hat am liebsten nur
konturiert, und selber schattieren wollte ich nicht.«
    »Und von Herzensbrecher-Madsen wolltest du dich auch nicht
schattieren lassen«, sagte er.
    »Von Lars hätte ich mich nie anfassen lassen, Jack – nicht mal zum
Schattieren. Ich hätte Herzensbrecher-Madsen nie meine Brüste gezeigt!«
    »Immer hübsch der Reihe nach, Mom. Reden wir erst mal über Toronto,
ehe wir über Kopenhagen reden. Als wir nach Toronto gekommen sind, war mein Dad
da schon weg?«
    »Er hat eine Schülerin von St. Hilda in Schwierigkeiten gebracht –
außerdem hatte er an der Schule noch eine zweite Freundin und nach allem, was
ich weiß, auch noch eine Affäre mit einer oder mehreren Lehrerinnen!«
    »Mom, das mit den Mädchen weiß ich.«
    »In Halifax war er mit anderen Frauen zusammen!« brach es aus ihr
hervor.
    »Mom, das hast du mir erzählt. Ich weiß, daß er dich verlassen hat.
Aber ich habe nicht gewußt, daß er mich sehen wollte.«
    »Ich konnte ihn doch gar nicht davon abhalten, dich zu [670]  sehen,
oder?« fragte sie. »Wenn du außer Haus warst, konnte ich schließlich nicht
verhindern, daß er dich zu Gesicht bekommt. Aber wenn er nicht mit

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