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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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[838]  sich um dich kümmern würde, wie es sich für eine
Mutter gehört – tja, das kam ganz schön überraschend. Und zwar für deine Mutter und für mich. Daß er damit einverstanden sein würde,
hätten wir nicht erwartet! Wir hatten eben beide unterschätzt, was für ein
guter Christ William war.« Aus Femkes Mund klang das Wort Christ eher abfällig. »Ich war nur die Unterhändlerin, Jack. Ich hätte für deinen
Vater gern mehr herausgeholt. Aber was will man machen, wenn die streitenden
Parteien sich einigen? Ein Deal ist ein Deal.«
    »Sie haben ihn doch nach Rotterdam zum Hafen gefahren?« fragte Jack.
»Und beide haben bis zum Schluß mitgespielt?«
    Femke schaute zum Fenster hinaus auf den träge vorbeifließenden
Verkehr auf dem Singel. »Dein kleines Gesicht auf dem Schiff war das einzige
mit einem Lächeln, das ich gesehen habe, Jack. Deine Mutter mußte dich
hochheben, damit du über die Reling schauen konntest. Du hast diesem Koloß von
einer Hure zugewinkt. Als dein Vater zu Boden sank, dachte ich, er hätte einen
Herzinfarkt. Ich dachte schon, ich würde eine Leiche nach Amsterdam zurückbringen,
womöglich sogar auf dem Rücksitz meines Mercedes. Dieses Riesenweib hat ihn
aufgehoben und zu meinem Wagen getragen, und zwar so mühelos, wie sie dich
immer getragen hat! Wohlgemerkt, ich dachte noch immer, dein Vater wäre tot.
Ich wollte William nicht auf dem Vordersitz haben, aber dort hat sie ihn
hingesetzt. Da habe ich dann gesehen, daß er so gerade noch am Leben war. ›Was
habe ich nur getan? Wie konnte ich nur? Was bin ich nur für ein Mensch, Femke?‹
hat dein Vater mich gefragt. ›Ein verdammter Christ bist du, William. Du
vergibst zuviel‹, habe ich gesagt. Aber der Deal war unter Dach und Fach, und
es gab auf der ganzen Welt keinen Menschen, der sich so streng an eine
Abmachung gehalten hätte wie dein Vater. Und so wie du aussiehst, Jack, hat sich
auch deine Mutter an die Abmachung gehalten, jedenfalls einigermaßen.«
    [839]  In diesem Augenblick haßte Jack sie beide, seine Mutter und
seinen Vater. Was seine Mutter anging, lagen die Gründe auf der Hand. Was
jedoch seinen Vater betraf, so sah Jack ihn plötzlich als Kapitulanten. William
Burns hatte seinen Sohn im Stich gelassen! Jack war wütend. Femke war zwar
schon im Ruhestand, aber immer noch eine gute Anwältin, und sie sah Jack seinen
Zorn an.
    »Ach, reg dich nicht auf, und sei nicht so kindisch!« sagte sie.
»Was soll das denn, als erwachsener, völlig gesunder Mann in der Vergangenheit
herumzuwühlen? Laß sie ruhen, Jack. Heirate, versuche ein guter Ehemann zu
sein, und sei deinen Kindern ein guter Vater. Vielleicht hast du ja Glück und
erkennst, wie schwer das ist. Maße dir gefälligst kein Urteil an, und zwar
weder über William noch über deine Mutter!«
    An der Art und Weise, wie ihre erwachsenen Söhne sie umsorgten,
erkannte Jack, wie sehr sie sie liebten. Wieder sah Femke zum Fenster hinaus.
Die Art, wie sie ihm das Profil zuwandte, hatte etwas Endgültiges, so als wäre
ihre Zusammenkunft beendet und sie hätte ihm nichts weiter zu sagen. Nico
Oudejans hatte sie gebeten, Jack zu empfangen, und wahrscheinlich empfand sie
für Nico einen gewissen Respekt, jedenfalls mehr als für Jack. Sie hatte ihre
Pflicht getan, drückte ihr Profil aus. Weitere Informationen würde sie Jack
nicht so ohne weiteres geben.
    »Wenn ich Sie nur noch fragen dürfte, ob Sie wissen, was aus ihm
geworden ist. Wo er überhaupt hingegangen ist«, sagte Jack. »In Amsterdam ist
er ja wohl nicht geblieben.«
    »Natürlich ist er nicht hiergeblieben«, sagte sie. »Schließlich
konnte er dich an jeder Straßenecke vor sich sehen, und sämtliche aufreizenden
Posen sämtlicher Prostituierter in sämtlichen grellen Fenstern und schmutzigen
Hauseingängen des Viertels waren überlagert vom Bild deiner Mutter!«
    Jack blieb stumm. Mit angelegentlichen Blicken und Gesten gaben
Femkes Söhne ihm zu verstehen, er solle Geduld haben. Er [840]  müsse nur lange
genug warten, und die alte Dame werde ihm geben, weshalb er gekommen war – das
jedenfalls schienen Femkes Söhne ihm zu signalisieren.
    »Hamburg«, sagte Femke. »Welcher Organist will denn nicht in einer
dieser deutschen Kirchen spielen, vielleicht sogar irgendwo, wo einst Bach
höchstpersönlich gespielt hat? Daß William nach Hamburg ging, konnte also gar
nicht ausbleiben, aber mit Hamburg hatte es noch eine besondere Bewandtnis. So
genau weiß ich das nicht mehr. Irgend etwas mit

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