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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eine begrenzte Zeit in Holland zu arbeiten. Alice, eine
kanadische Staatsbürgerin, hatte kein solches Visum gehabt –, Ausländern
jedoch, die bei holländischen Tätowierern in die Lehre gingen, erlaubte die
Polizei, ihren Lebensunterhalt einige Monate lang steuerfrei zu verdienen.
Danach wurden sie aufgefordert, auszureisen oder Steuern zu bezahlen.
    Eine Sorgerechtsklage vor einem holländischen Gericht war nicht
möglich, weil weder Jacks Mutter noch sein Vater holländische Staatsbürger
waren. So ungeheuerlich es auch war, daß Alice ihren Sohn ihrem neuen Leben als
Prostituierte aussetzte –, sein Vater hatte keine Möglichkeit, das Sorgerecht
für den [836]  Jungen einzuklagen. Allerdings konnte man Alice zwingen, das Land zu
verlassen, vorwiegend deshalb, weil sie sich wiederholt auf Sex mit
minderjährigen Jungen eingelassen hatte. Und auch bei den Prostituierten war
sie auf massive Ablehnung gestoßen. (Als wäre das Kirchenliedsingen und
Gebeteaufsagen in ihrem Fenster und ihrem Hauseingang nicht schon empörend
genug gewesen, hatte sie auch noch ihren vierjährigen Sohn durch das Viertel
geschleppt.)
    »Tag und Nacht sind Sie von dieser Riesin unter den Huren
herumgetragen worden«, sagte Marinus Poortvliet zu Jack.
    »Meistens haben Sie geschlafen oder sich überhaupt nicht gerührt«,
sagte sein Bruder Jacob.
    »Den ›Wocheneinkauf‹ haben die Prostituierten Sie genannt, weil Sie
in den Armen dieser Frau ausgesehen haben wie eine Tüte Lebensmittel, von der
eine Familie eine Woche lang satt wird«, erklärte Marinus.
    »Das holländische Recht bot also die Möglichkeit, meine Mutter
auszuweisen, aber nicht, meinem Vater das Sorgerecht für mich zu verschaffen«,
sagte Jack, bloß um sicherzugehen, daß er sie richtig verstanden hatte. Die
beiden Söhne nickten.
    In diesem Moment kam Femke, und Jack fühlte sich erneut von ihr
eingeschüchtert – nicht weil sie eine Prostituierte von anderer,
furchteinflößender Art war, sondern weil sie ihm als Meisterin der Initiation
erschien. (Ganz gleich, welche Erfahrung man gemacht zu haben meinte, Femke
konnte einen in etwas einführen, von dessen Existenz man gar nichts gewußt, ja
nicht einmal etwas geahnt hatte.)
    »Wenn ich dich in deinen Filmen sehe«, sagte sie zu Jack, ohne sich
mit einer Begrüßung aufzuhalten, »dann sehe ich jemanden, der genauso hübsch
und begabt ist wie dein Vater, aber nicht halb so offen, so ohne jede
Zurückhaltung. Du bist sehr zurückhaltend, nicht wahr, Jack Burns?« fragte sie
und setzte sich in den Ledersessel. Und Jack hatte einmal geglaubt, sie nehme
diesen [837]  Platz an ihrem Fenster zum Bürgersteig ein, um Freier von der Straße
anzulocken!
    »Danke, daß Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte Jack zu ihr.
    »Sehr zurückhaltend, nicht wahr?« fragte sie ihre Söhne, ohne auch
nur ein Nicken oder ein Kopfschütteln von ihnen zu erwarten. Es war eigentlich
gar keine Frage – Femke hatte sich längst für eine Antwort entschieden.
    Mit ihren achtundsiebzig nur ein paar Jahre älter als Els, war Femke
immer noch wohlgeformt und nicht dick. Ihre elegante Kleidung, mit der sie
scheinbar schon auf die Welt gekommen war, machte Jack vollkommen klar, daß nur
ein Schwachsinniger (oder ein Vierjähriger) sie je für eine Hure hätte halten
können. Ihre Haut hatte so wenige Falten wie die einer gutgepflegten
Fünfzigjährigen; ihr Haar – sie trug keine Perücke – war schneeweiß.
    »Wärst du Holländer gewesen, Jack, hätte ich deinem Vater in null
Komma nichts das Sorgerecht für dich verschafft. Ich hätte deine Mutter mit dem
größten Vergnügen kinderlos nach Kanada zurückgeschickt«, sagte Femke. »Das
Problem war, daß dein Vater ihr verziehen hat. Er hätte ihr alles verziehen –
sie mußte nur versprechen, daß sie dich anständig behandelt.«
    »Das heißt gute Schulen, eine sichere Wohngegend und so etwas wie
Stabilität?« fragte Jack.
    »Das ist ja nichts Schlimmes, oder?« gab Femke zurück. »Anscheinend
bist du nicht nur am Leben, sondern hast es auch zu was gebracht. Bei dem Weg,
den deine Mutter genommen hatte, hättest du das hier ganz bestimmt nicht
geschafft. Außerdem hatte sie sich zumindest ansatzweise damit abgefunden, daß
William niemals zu ihr zurückkehren würde – das hatte eigentlich schon in
Helsinki angefangen. Aber daß sich William, so schmerzlich es auch war, damit
abfinden würde, jeden Kontakt zu dir zu verlieren, wenn Alice nur mit dir nach
Kanada zurückkehren und

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