Bis ich dich finde
Herbert Hoffmann –
wahrscheinlich eine berühmte Orgel.«
Es bereitete ihm ein gewisses Vergnügen, sie zu berichtigen: Sie war
eine Frau, die das herausforderte. »Ein berühmter Tätowierer, keine Orgel«,
sagte er.
»Die Tätowierungen deines Vaters habe ich Gott sei Dank nie
gesehen«, sagte Femke wegwerfend. »Ich habe ihn bloß gern spielen hören.«
Jack dankte Femke und ihren Söhnen dafür, daß sie sich Zeit für ihn
genommen hatten. Er besah sich flüchtig die Prostituierten in den Fenstern und
Hauseingängen in der Bergstraat und im Korsjepoortsteeg, ehe er, diesmal unter
Umgehung des Rotlichtviertels, zum Grand zurückging. Er war froh, daß er sich
das Video von Wild Bill Vanvlecks Krimiserie ansehen konnte, denn er hatte
keine Lust auszugehen.
Die Videokassette enthielt mehrere Folgen der Serie. Am besten gefiel
Jack die, in der es um einen ehemaligen Angehörigen der Mordkommission ging,
einen älteren Mann, der mit dreiundfünfzig noch einmal auf die Polizeischule
geht. Er heißt Christiaan Winter und ist seit kurzem geschieden. Seinem
einzigen Kind, einer studierenden Tochter, hat er sich entfremdet. In dem Kurs
auf der Polizeischule geht es um neue Methoden des Umgangs mit häuslicher
Gewalt. Nachdem die Polizei früher zu nachsichtig mit den Tätern verfahren ist,
nimmt sie sie nun fest.
[841] Natürlich wurden die Dialoge auf holländisch geführt, so daß Jack
raten mußte, was die handelnden Personen sagten. Aber jede Geschichte wurde von
den jeweiligen Figuren getragen. Jack kannte Christiaan Winter von einer
früheren Folge, in der es mit der Ehe des Polizisten bergab ging. In der Folge
über häusliche Gewalt treibt Winter der Gedanke um, wie häufig Kinder damit
konfrontiert sind. Sämtliche Statistiken belegen, daß Kinder von prügelnden
Ehemännern später selbst prügelnde Ehemänner werden und geprügelte Kinder
später selbst ihre Kinder prügeln.
Die Botschaft des Films war Jack nicht neu, aber Vanvleck hatte sie
mit dem Privatleben des Polizisten verknüpft. Zwar schlägt Winter seine Frau
nicht, doch auch die Verbalattacken – seine und die seiner Frau – haben die
Tochter geschädigt. Einer der ersten Fälle von häuslicher Gewalt, mit denen
Christiaan Winter zu tun bekommt, endet mit einem Totschlag, seinem alten
Metier. Am Ende gehört er wieder seinem alten Team an.
Vanvlecks Krimiserie hatte einen Zug von subtilem Realismus, wie man
ihn im amerikanischen Fernsehen so nicht zu sehen bekam: Es wurde weniger
Gewalt gezeigt, und mit Sexualität wurde offener umgegangen. Keine Folge endete
mit einem unplausiblen Happy-End – Christiaan Winters Familie findet nicht
wieder zusammen. Das Äußerste, was er zustande bringt, ist ein höfliches
Gespräch mit seiner Tochter in einem Kaffeehaus, wo sie ihm ihren neuen Freund
vorstellt. Man spürt, daß der Polizist den Freund nicht mag, aber er behält
seine Meinung für sich. In der letzten Einstellung – seine Tochter hat ihm
gerade einen Abschiedskuß gegeben – bemerkt Winter, daß der Freund Geld für den
Kaffee dagelassen hat.
Das Ganze war film noir mit Gefühl, also
das, was Wild Bill am besten konnte: so jedenfalls Jacks Kommentar gegenüber
Nico Oudejans, als dieser anrief und Jack nach seiner Meinung zu Vanvlecks
Serie fragte. Nico gefiel die Serie ebenfalls. Er fragte [842] Jack nicht, wie die
Zusammenkunft mit Femke verlaufen war. Er kannte Femke. Als guter Polizist
kannte er außerdem die Geschichte von Tochter Alice in allen Einzelheiten. Jack
erzählte Nico von Herbert Hoffmann, und daß es sich um einen Tätowierer und
nicht um eine Orgel handelte. Natürlich fragte Nico, ob Jack vorhabe, nach
Hamburg zu fahren.
Das hatte er nicht. Schauspieler, wußte Jack, mochten zwar
geschicktere Lügner sein als andere Menschen, doch sich selbst belügen konnten
sie auch nicht besser, und sogar Schauspieler sollten sich hüten, einen
Polizisten zu belügen.
»Was muß ich denn noch wissen?« fragte er Nico, der darauf keine
Antwort gab. Der Polizist hätte jetzt gern Jacks Augen gesehen, dann seine
Hände, dann wieder die Augen. Jack begann schneller zu sprechen. Für Nico waren
Jacks Gedanken eher wirr aneinandergereiht, als daß sie logisch
aufeinanderfolgten, aber er unterbrach ihn nicht mit Fragen.
Er hoffe für seinen Vater, sagte Jack, daß dieser wieder eine
Familie habe. Er wolle sich nicht in sein Leben hineindrängen, das habe William
bei ihm schließlich auch nicht getan. Außerdem wisse er, daß
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