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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihr vorbei ins Bad, um ihre Kleider zu holen, konnte sie
aber weder entdecken noch sich vorstellen, was sie damit gemacht hatte. Die
schmutzigen Laufschuhe mit den kurzen Socken hatte sie auf seine
Badezimmerwaage gestellt, doch der Rest ihrer Kleidung war verschwunden. ( Wie können die Sachen einfach verschwinden?, fragte er
sich.)
    Er ging zurück ins Schlafzimmer. »Du gehst jetzt, Lucy. Wo sind
deine Kleider?«
    Sie zuckte die Achseln. Ja, sie war eine hübsche Achtzehnjährige.
Sogar Jack konnte die Jahre seit seiner Ankunft in L.A. im Jahre 1987 zählen und vier hinzuaddieren. (Und außerdem hatte er in letzter
Zeit viel über Vierjährige nachgedacht.) Aber er zog nicht einmal in Erwägung,
mit Lucy zu schlafen, ganz gleich, ob es legal war – darum ging es nicht.
    Sie gehörte zu jenen absichtlich ungepflegten Mädchen mit
Goldglitzerstaub im Haar. Jeder Zehennagel war in einer anderen Farbe lackiert.
Auf die Innenseite ihres Oberschenkels war eine Zitrusfrucht, eine sogenannte
Buddhahand, tätowiert, weit oben, so daß die Jogginghose sie verdeckt hatte.
Manche jungen Frauen waren erregender, bevor sie sich auszogen. Außerdem hatte
es Jack noch nie gemocht, herumkommandiert zu werden.
    »Ich gebe dir ein T-Shirt und eine Laufhose von mir«, sagte er. »Ich
ziehe dich eigenhändig an, Lucy, wenn du dich nicht sofort anziehst und von
hier verschwindest.«
    »Meine Mutter hat bestimmt schon die Cops angerufen«, sagte [905]  Lucy.
»Sie hockt den ganzen Tag zu Hause und hat nichts zu tun. Sie geht nie ans
Telefon, sondern hört immer nur den Anrufbeantworter ab, falls es mein Vater
ist. Ich sage Ihnen, sie hat meine Nachricht bestimmt schon zweimal abgespielt und
den Cops längst Ihre Adresse gegeben und alles.«
    Jack ging in die Küche, wählte auf dem Apparat dort den Notruf und
sagte, in seinem Haus halte sich gegen seinen Willen eine Achtzehnjährige auf:
Sie habe sich zuvor in seinem Wagen versteckt. Nun habe sie sich ausgezogen und
ihre Mutter angerufen. Er habe sie nicht angerührt. Er habe nicht die Absicht,
sie anzurühren. »Vielleicht sollte einer der Beamten, die Sie schicken, eine
Frau sein, falls sie sich nicht anziehen will«, sagte er.
    Er wurde gefragt, ob es sich um eine häusliche Auseinandersetzung
handele. Ob er das Mädchen kenne? »Seit ihrem vierten Lebensjahr habe ich
keinerlei Kontakt mit ihr gehabt!« rief er in den Hörer.
    Das heiße ja wohl, daß er sie kenne, nicht wahr?, wurde er gefragt.
(Er hätte es kommen sehen müssen.) »Hören Sie, sie glaubt, daß ich der Grund
bin, warum ihre Eltern sich haben scheiden lassen. Sie und ihre Mutter sind
regelrecht von mir besessen. Ihr Vater haßt mich!«
    »Sie kennen die ganze Familie?« wurde er gefragt.
    Als Jack seine Adresse nannte, bekam er ein rasches »Einen Moment
bitte« zur Antwort. Man hatte bereits einen Streifenwagen losgeschickt, denn es
hatte natürlich schon einen Anruf gegeben: Lucys Mutter. Die Anruferin habe
etwas von einer gerade stattfindenden Vergewaltigung gesagt.
    »Das stimmt nicht!« brüllte Jack.
    »Die Toilettenspülung ist kaputt!« rief Lucy aus dem Schlafzimmer.
»Vergessen Sie erst mal die Cops. Rufen Sie lieber einen Installateur an!«
    Jack legte auf und stapfte durch sein Schlafzimmer ins Bad. Lucy hatte
ihre Kleider in den Spülkasten der Toilette gestopft. [906]  (Sie waren klatschnaß;
Jack legte sie in die Badewanne.) Die Stange des Schwimmers war verbogen,
weshalb die Dichtung nicht mehr richtig schloß. Wenigstens wußte er, wie das zu
beheben war.
    Als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, wälzte und wand sich Lucy
gerade ausgiebig auf seinem Bett. Das Laken war überall an den Bettkanten
herausgerutscht, und sie hatte eines der Kissen auf den Boden geworfen. Das
Bett sah aus, als hätte er es gerade mit mehreren Achtzehnjährigen – allesamt
Turnerinnen – getrieben.
    »Das Ganze ist einfach nur lästig«, sagte er zu dem kleinen Luder.
»Glaub mir, wenn Sie dich erst mal auf Körperflüssigkeiten untersuchen, wirst
du das alles nicht mehr so komisch finden.«
    »Ich hab’s einfach satt, mir ständig anhören zu müssen, wie Sie
meine ganze Familie in die Scheiße geritten haben!« schrie das Mädchen.
    Jack verließ das Schlafzimmer und schloß die Tür hinter sich. Er
ging hinaus und lehnte sich an den in der Einfahrt geparkten Audi. Während er
noch auf das Eintreffen der Polizei wartete, bemerkte er den Fotografen, einen
nur allzu vertrauten Paparazzo, bekannt vorwiegend dank seiner

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