Bis ich dich finde
nach bequemer Joggingkleidung aus.
[902] »Bitte zieh deine Hose wieder an«, sagte er. »Wir fahren zu mir.«
Sie trug schmutzige Laufschuhe und kurze Socken, wie sie offenbar
alle jungen Leute mögen, die Sorte, die nicht einmal über die Knöchel reicht.
Auf den Fußballen, als ahmte sie Mr. Ramsey nach – oder als wäre sie zu nervös,
um sich hinzusetzen –, marschierte sie durchs ganze Haus. Jack folgte ihr wie
ein Hündchen. Es war, als wären sie bei ihr zu Hause und sie hätte das Sagen.
»Als Sie meinem Dad den Kopfstoß verpaßt haben, war das ein
lebensverändernder Moment«, sagte Lucy zu ihm. »Da hat meine Mom nämlich beschlossen,
daß sie die Schnauze voll hat. Ich weiß noch, daß sie ihn die ganze Heimfahrt
über angeschrien hat. Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, wären sie noch
vor dem Frühstück am anderen Morgen geschieden gewesen.«
»Meiner Erfahrung nach hat man mit vier Jahren kein sonderlich
präzises Erinnerungsvermögen«, gab er zu bedenken.
»Scheiße, Sie waren der Held meiner Mutter«, sagte Lucy. »Glauben
Sie etwa, das weiß ich nicht mehr? Als Sie dann berühmt waren, sind wir in
sämtliche Filme von Ihnen gegangen, und meine Mutter hat jedesmal gesagt: ›Das
ist der Mann, der mir aus meiner unglücklichen Ehe herausgeholfen hat.‹ Mein
Vater war natürlich stinksauer auf Sie. ›Wenn mir Jack Burns jemals über den
Weg läuft, kann er sich auf was gefaßt machen!‹ hat er ständig gebrüllt.«
»Dein Vater hat sich schon beim ersten Mal nicht besonders geschickt
angestellt«, erklärte Jack.
»Eins kann ich Ihnen sagen: Wenn meine Mutter Ihnen je über den Weg
laufen sollte, würde sie Sie bis zur Bewußtlosigkeit ficken und es meinem Vater
dann in allen Einzelheiten erzählen«, sagte Lucy. »Scheiße, mein Leben lang
waren Sie in meiner Familie eine richtig große Nummer.«
»Ich war nur entsetzt darüber, daß deine Eltern eine Vierjährige im
Auto zurückgelassen haben, und das in Venice«, sagte er.
[903] Lucy befingerte die Magnete mit Tätowiervorlagen, die Alice ihm
für seinen Kühlschrank geschenkt hatte. Japanische Flashs, irezumi, wie Henk Schiffmacher sie genannt hatte. Es gab ein halbes Dutzend davon, so
groß wie Vierteldollarmünzen. Jack verwendete sie dazu, die vier Fotos vom
nackten Oberkörper seiner Mutter an der Kühlschranktür festzuhalten: vier
leicht unterschiedliche Ansichten ihrer Bis-ich-dich-finde -Tätowierung,
die Lucy, wie er bemerkte, sehr eingehend betrachtete.
Aber Lucy hatte keine Ruhe. Sie ging hinüber zu Jacks Schreibtisch
und sah ihn sich an. Der flache Briefbeschwerer aus Glas, der das Aktfoto von
Emma mit siebzehn leicht vergrößerte, war ein Blickfang. (Jack war immer
überzeugt gewesen, daß er es eines Tages bereuen würde, die Fotos aufbewahrt zu
haben, obwohl Claudia ihn gebeten hatte, sie wegzuwerfen.)
»Ich muß mal aufs Klo«, sagte Lucy. Es gab noch zwei andere
Badezimmer im Haus, aber sie spazierte einfach durch Jacks Schlafzimmer, ging
in sein Bad und machte die Tür hinter sich zu.
Er hatte Emmas ehemaliges Schlafzimmer in einen kleinen Fitness-Raum
verwandelt: zwei verschiedene Hometrainer, ein Stepper, ein Bauchtrainer, ein
paar Bänke und eine Menge freie Gewichte. Es gab keine Spiegel an den Wänden,
bloß einige seiner Lieblingsfilmplakate, zum Teil von Filmen, in denen er
selbst mitgewirkt hatte. Auf dem Boden lag eine Gymnastikmatte, ein längliches
Rechteck, etwa ein Drittel so groß wie eine Ringmatte der vorgeschriebenen
Größe.
Er setzte sich auf die Matte, zog die Knie bis an die Brust und
überlegte, was er mit Lucy machen sollte. Er hörte die Toilettenspülung
rauschen und Wasser ins Waschbecken laufen. Er hörte, wie sie aus dem Bad kam
und den Hörer des Telefons auf dem Nachttischchen neben seinem Bett abnahm. An
ihrem Tonfall erkannte er, daß sie auf einen Anrufbeantworter sprach.
»Hallo, Mom, ich bin’s«, hörte er sie sagen. »Ich bin bei Jack
Burns, ich bin nackt, und ich liege in seinem Bett. Das ist doch [904] das, was du
immer wolltest, oder? Sorry, daß ich dir zuvorgekommen bin, aber eigentlich ist
es auch egal. Ob du oder ich, der Gedanke macht Dad auf jeden Fall verrückt.
Bis dann!«
Jack ging in sein Schlafzimmer und sah, daß Lucy keine Witze gemacht
hatte. Sie hatte die Decke zurückgeschlagen und lag nackt auf seinem Bett.
»Jetzt kriegen wir Schwierigkeiten«, sagte sie.
»Du vielleicht, Lucy, ich ganz bestimmt nicht«, antwortete er.
Er ging an
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