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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Faktencheckerin«
bezeichnete. (Er wollte damit sagen, daß die Polizei nicht ihn mitgenommen habe.)
    Doch davon wußte er noch nichts, als er morgens nach Halifax
aufbrach. Angesichts all dessen, was ihm zugestoßen war – angesichts der
falschen Entscheidungen, die er getroffen hatte, der Jahre, die er bereuen
würde –, empfand er die Sache mit Lucy praktisch als Nichtereignis. Er rief
noch nicht einmal Dr. García an, um ihr davon zu erzählen. ( Soll
sie ruhig warten, sie erfährt es dann in chronologischer Reihenfolge, dachte Jack.)
    Doch manchmal wird auch ein Nichtereignis von der Öffentlichkeit
wahrgenommen. Jack hatte Lucy nichts getan – außer versucht, sich um sie zu
kümmern, als sie vier Jahre alt war. Doch in einer skandalsüchtigen
Filmzeitschrift, komplett mit Fotos, bekam der ärgerliche »Scherz« des Mädchens
einen Hautgout von etwas wahrhaft Skandalösem, so daß der Eindruck entstand,
Jack Burns wäre ungestraft davongekommen.
    Es würde ihm schwerfallen, Dr. García das zu sagen, wenn es soweit
war, aber Jack war – vorderhand unsichtbar – eine Falle gestellt worden. Lucy
war nicht die Falle, sondern ein Faktor, der zu einer Falle beitrug, die in
seiner Zukunft wartete. Die nette Polizistin hatte es ihm zu sagen versucht.
Die Fotos hatte Jack weggeworfen, aber sie hatte ihn nicht nur wegen der Fotos
gewarnt.
    »Wenn es hier jemals irgendwelche Schwierigkeiten gibt…« So hatte
sie es doch formuliert, nicht wahr?

[910]  34
    Halifax

    Auf dem Weg zum Flughafen rief Jack von seinem Handy aus
in Michele Mahers Praxis an. In L.A. war es noch
sehr früh am Morgen, doch in der Praxis in Cambridge nahm Dr. Mahers
Sprechstundenhilfe ab, eine freundliche Seele namens Amanda, die ihn davon
unterrichtete, daß Dr. Maher gerade einen Patienten habe.
    Jack sagte ihr seinen Namen und wohin er unterwegs war. Er sei mit
Michele auf die High School gegangen – mehr erzählte er nicht von ihrer
gemeinsamen Vergangenheit.
    »Das weiß ich alles«, sagte Amanda. »Jeder in der Praxis hätte sie
dafür erwürgen können, daß sie nicht mit Ihnen zur Oscarverleihung gegangen
ist.«
    »Aha.«
    »Treffen Sie sich mit ihr zum Lunch?« fragte Amanda. Jack vermutete,
daß jeder in der Praxis von dem Brief wußte, den Michele ihm geschrieben hatte.
Möglicherweise hatte Amanda ihn getippt.
    Jack erklärte, er hoffe, Dr. Maher auf der Rückreise von Halifax zu
sehen. Er habe einen Zwischenstopp in Boston eingeplant. Falls Michele abends
Zeit habe, mit ihm essen zu gehen, oder sich am nächsten Tag zum Lunch –.
Weiter kam er nicht.
    »Jetzt also schon zum Abendessen!« sagte Amanda eifrig. »Vielleicht
zu Lunch und Abendessen. Vielleicht sogar zum Frühstück!«
    Jack sagte ihr, er werde Mitte der Woche von Halifax aus anrufen, um
sich zu vergewissern, daß Dr. Maher Zeit für ihn habe.
    »Sie sollten im Charles Hotel in Cambridge übernachten. Von [911]  dort
aus kommen Sie zu Fuß zur Klinik und zu unserer Praxis. Ich kann Ihnen ein
Zimmer reservieren lassen, wenn Sie wollen«, sagte Amanda. »Das Hotel hat
Fitness-Raum, Pool und alles.«
    »Danke, Amanda«, sagte er. »Das wäre sehr nett – falls Dr. Maher
Zeit für mich hat.«
    »Was soll denn dieses dauernde Dr. Maher?« rief Amanda aus.
    Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu sagen, sie solle das Zimmer im
Charles unter einem anderen Namen reservieren lassen, obwohl nicht nur Michele,
sondern jeder in der Praxis wissen würde, daß Jack Burns in der Stadt war und
wo er wohnte. So sehr sich Jack auch für die Explosionskatastrophe von Halifax
oder den Gedanken, in seiner Geburtsstadt einen Film zu drehen, interessierte,
war er doch keineswegs auf die Rolle des unter Gedächtnisverlust leidenden
Transvestiten in Doug McSwineys Drehbuch festgelegt. Im Gegenteil: Je mehr er
über die Probleme nachdachte, die er mit dem Drehbuch hatte, desto weniger
hatte er Lust, als Transen-Stricher mit Gedächtnisverlust in irgendeinem Hotel
abzusteigen. (In dem Hotel in Halifax hatte er unter seinem richtigen Namen
reservieren lassen.)
    Er dankte Amanda für ihre Freundlichkeit und Hilfe und nannte ihr
die Telefonnummer seines Hotels in Halifax und seine Handynummer, bloß für den
Fall, daß Michele ihn anrufen wollte.
    Für den Flug hatte er genug Lektüre, angefangen mit Doug McSwineys
Drehbuch, das er noch zweimal las. Es trug den Titel Die
Explosion von Halifax und basierte angeblich auf Michael J. Birds The Town That Died, einer Chronik der Katastrophe,

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