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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Micheles himmelblauen,
geschäftsmäßigen Briefkopf, ehe sie ihm das Schreiben zurückgab. »Dann rufen Sie
mich eben aus Cambridge, Massachusetts, an«, sagte sie. »Ich kann Ihnen fast
garantieren, Jack, daß Sie dort in Schwierigkeiten geraten werden.«
    Damals war er in der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse, in
der er Dr. García seine Lebensgeschichte erzählte, bis zum »zweiten Mal in
Amsterdam« gekommen, wie Miss Wurtz das nannte. Er hatte es nicht eilig, der
Ärztin davon zu erzählen. Eine kurze Reise nach Halifax mit einem Zwischenstopp
in Boston auf dem Rückflug, fand Jack, würde ihm bestimmt guttun.
    Ins Wartezimmer zurückgekehrt, wurde er von einer Frau abgelenkt,
einer der jungen Mütter, die eine regelmäßige Patientin von Dr. García war.
Kaum daß sie ihn sah, begann sie zu kreischen. (Jack haßte es, wenn das
passierte.)
    [900]  Die Sprechstundenhilfe bugsierte ihn rasch zu dem Ausgang, der
auf die Montana Avenue führte. Jack sah, daß eine andere junge Mutter,
vielleicht auch die Freundin oder das Kindermädchen der Kreischenden, diese zu
trösten versuchte. Ihr Gekreische hatte die Kinder erschreckt, von denen einige
weinten.
    Er stieg in seinen Audi und klemmte Micheles Brief unter die
Sonnenblende auf der Fahrerseite. Als er sich gerade der Kreuzung Montana
Avenue und Fourth Street näherte, tauchte Lucys Gesicht im Rückspiegel auf.
Jack baute fast einen Unfall, als sie sagte: »Ich kann mich noch nicht gut
genug benehmen, um in einem Erwachsenen-Restaurant zu essen.«
    Er kapierte es noch immer nicht. Er wußte nur, daß er sie zuletzt in
Dr. Garcías Wartezimmer gesehen hatte, aber nicht, wer sie war. (Das Kindermädchen
mit Groupie-Potential, wie er sie bei sich genannt hatte.)
    »Wenn man mich auf dem Rücksitz sehen kann, schlafe ich meistens auf
dem Boden«, sagte die junge Fremde. »Nicht zu fassen, daß Sie immer noch Audis
kaufen, und dazu noch silberne.«
    »Lucy?« fragte Jack.
    »Das hat ja ganz schön lang gedauert«, sagte sie, »allerdings hatte
ich auch noch keine Titten, als wir uns kennengelernt haben. Verständlich, daß
Sie mich nicht erkannt haben.«
    Ein unglücklicher Zufall, machte er sich klar. Lucy war nicht jemandes
Kindermädchen, sondern wie er selbst bei Dr. García in Behandlung. (Und eine
eher labile Patientin, wie er bald feststellen mußte.)
    Die Ähnlichkeit mit der verängstigten, aber tapferen kleinen
Vierjährigen, die Jack auf dem Parkplatz des Stan’s auf den Arm genommen hatte,
war schwer zu erkennen. Von ihrer Tapferkeit war etwas geblieben, oder
vielleicht hatte sie sich zu etwas anderem verhärtet. Ängste stand die
mittlerweile fast Zwanzigjährige nicht aus – nicht mehr.
    [901]  Sie hatte einen vollkommen unbewegten, starren Blick, der an die
knallharte Waghalsigkeit eines Autodiebes denken ließ. Würde man sie dazu
herausfordern – oder um fünf Dollar mit ihr wetten, daß sie es nicht schaffte
–, dann würde sie mit durchgetretenem Gaspedal sämtliche rote Ampeln auf dem
Wilshire Boulevard von Santa Monica bis Beverly Hills überfahren. Sofern sie
nicht in Brentwood mit einem anderen Fahrzeug kollidieren oder in Westwood
Village von einem Cop angeschossen würde, wäre sie nicht zu stoppen – und ihr
nackter linker Arm würde die ganze Strecke über aus dem Fenster hängen und
jedem den Stinkefinger zeigen.
    Jack bog rechts auf die Ocean Avenue ab und hielt am Bürgersteig an.
»Du steigst wohl besser aus, Lucy«, sagte er.
    »Bis Sie mich vom Rücksitz runterhaben, hab ich mir sämtliche
Klamotten ausgezogen«, sagte sie zu ihm.
    Er hielt sich mit beiden Händen am Lenkrad fest und betrachtete sie
im Rückspiegel. Sie trug ein pinkfarbenes Tanktop – kaum mehr als ein Sport- BH – und schwarze Jogging-Shorts von Puma. In der Zeit,
die er brauchen würde, um auszusteigen und die hintere Tür aufzumachen, konnte
sie sich komplett ausziehen, soviel war klar.
    »Was willst du, Lucy?« fragte er sie.
    »Fahren wir zu Ihnen«, sagte sie. »Ich weiß, wo Sie wohnen, und ich
muß Ihnen eine Mordsgeschichte erzählen.«
    »Du weißt, wo ich wohne?«
    »Meine Mutter und ich fahren andauernd bei Ihnen vorbei«, sagte sie.
»Aber wir kriegen Sie nie zu Gesicht. Sie sind wohl nicht viel zu Hause.«
    »Unterhalten wir uns im Wagen«, schlug Jack vor.
    »Es ist eine ziemlich lange Geschichte«, erklärte sie. Im
Rückspiegel sah er, daß sie sich die Jogging-Shorts herunterstreifte. Ihr
Stringtanga war pinkfarben und sah nicht

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