Bis ich dich finde
– nämlich daß Lucys Mutter ebenfalls Patientin bei Dr.
García war. (Daß sie bei irgendwem Patientin war, lag schließlich nahe.)
Einmal hatte eine der jungen Mütter im Wartezimmer Jack erklärt, Dr.
García sei einzigartig unter sämtlichen Therapeuten, die sie je erlebt habe:
Man müsse keinen Termin vereinbaren. Offensichtlich hatte diese junge Mutter
das Bedürfnis, ihre Therapeutin ganz spontan aufsuchen zu können. Viele der
jungen Mütter in Dr. Garcías Wartezimmer sagten, sie fänden die Anwesenheit
anderer junger Mütter tröstlich. In New York oder Wien hätte kein Therapeut ein
derart unverbindliches Arrangement zugelassen. (Allerdings hätte in New York
oder Wien auch kein Patient so etwas akzeptiert.) Aber unverbindliche Arrangements
waren genau das, was Jack am Leben in Santa Monica so schätzte.
Er gab seine Flugtickets der Empfangschefin des Prince George und
bat sie, nach Möglichkeit seine Flüge zu ändern. »Sehen Sie einfach zu, daß ich
morgen nach Los Angeles zurückkomme – auf möglichst direktem Weg«, sagte er zu
ihr. »Kein Zwischenstopp in Boston, bitte.«
Dann ging er ins Press Gang, wo er erneut für das Abendessen
reserviert hatte. Er hatte den ganzen Tag nichts zu sich genommen und war
hungrig.
Er saß allein an seinem kleinen Tisch und bestellte sich einen [930] Aperitif. Das Restaurant war voll und laut. Vielleicht erschien es ihm
lauter, als es tatsächlich war, weil er allein war und eine Gehirnerschütterung
hatte. Das Gesicht dem Fenster zugewandt, saß er mit dem Rücken zu den anderen
Tischen. Er hatte sich etwas zu lesen mitgebracht – irgend etwas, was Charles
empfohlen hatte –, aber als er zu lesen versuchte, bekam er wieder
Kopfschmerzen, und der Lärm im Restaurant verstärkte sich. Am lautesten ging es
an dem Tisch zu, der ihm am nächsten stand, aber Jack konnte die Leute, die
dort saßen, nicht sehen. Falls sie zu ihm hinschauten, sahen sie nur seinen
Rücken.
Besonders ein Großmaul dominierte als Geschichtenerzähler. Der Mann
prahlte von einer Auseinandersetzung in einer Hotelbar: Ihm zufolge war es ein
fairer Kampf gewesen. »Scheiß-Ringer!« dröhnte er. »Können keinen Schlag
wegstecken.« Das erregte schlagartig Jacks Aufmerksamkeit, Gehirnerschütterung
hin oder her. »Jack Burns ist auf den Boden geklatscht wie ein toter Fisch«,
erzählte der Mann seinen Freunden.
Als jemand, der damit beschäftigt war, in chronologischer
Reihenfolge die Geschichte seines Lebens zu erzählen, war Jack
dahintergekommen, daß das, was viele Menschen aus geistiger Trägheit als Zufall
bezeichneten, nicht unbedingt Zufall war. So könnte man beispielsweise meinen,
es sei Zufall, daß Jack sich im selben Restaurant wie Doug Swiney befand, und
das nur einen Abend, nachdem der dicke, pelzgesichtige Autor ihn mit einem
Glückstreffer ausgeknockt hatte. Aber Halifax war keine Großstadt, und das
Press Gang war ein beliebtes Lokal.
Jack versuchte, ihn sich genauer anzuschauen, aber alles, was er zu
sehen bekam, war McSwineys breiter Rücken. Daß keiner der Freunde des Autors
von seiner, Jacks, Anwesenheit gewußt hatte, merkte er daran, daß einer von
ihnen ihn plötzlich erkannte: McSwiney hatte seine Geschichte nicht für Jack
erzählt. Jack stand auf und ging zu McSwiney hinüber. Die Freunde des massigen
Mannes machten ihn darauf aufmerksam, daß Jack da [931] war, doch der Mistkerl
ließ sich beim Erzählen nicht unterbrechen. »Hat sich einfach flachgelegt, der
kleine Hänfling«, sagte McSwiney gerade.
Jack stand schräg hinter McSwiney. Am Tisch saßen drei Paare. Welche
der Frauen zu McSwiney gehörte, war nicht zu erkennen. Die beiden Männer
lächelten, ja grinsten Jack beinahe an, doch die Frauen betrachteten das sich
anbahnende Drama mit unbewegter Miene.
»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte Jack zu Doug McSwiney. »Was
ich über Ihr Drehbuch geschrieben habe, war nicht für Sie bestimmt. Ihnen
gegenüber hätte ich mich niemals so offen, so persönlich geäußert. Cornélia hat
es Ihnen nur gezeigt, weil sie meine Handschrift nicht lesen konnte. Sie kann
handgeschriebenes Englisch überhaupt nicht lesen. Ihnen ist hoffentlich klar, daß
das ein Mißgeschick war. Ich hätte niemals absichtlich ihre Gefühle verletzt.«
Jetzt grinsten die beiden Männer ganz eindeutig, doch die Frauen
waren klüger: Frauen hatten Jack Burns schon immer zu deuten gewußt.
Jack entschuldigte sich gar nicht, sondern war bloß zum zweiten Mal
nett, wie es ihm
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