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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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plötzlich
unverfänglich?
    »Sag das noch mal, Jack«, sagte sein Vater. »Das traust du dich
nicht.«
    »Ich liebe dich und jeden Zentimeter deiner Haut«, sagte Jack zu
ihm.
    William Burns legte die Hände aufs Herz und lächelte Hugo und die
Ärztinnen an, ohne Jack anzusehen. »Ein Schisser ist er jedenfalls nicht, was?«
fragte er sie.
    »Das fällt nicht in mein Fachgebiet«, antwortete Dr. von Rohr.
    »Ich bin nur für Pharmakologie zuständig, William«, sagte Dr.
Krauer-Poppe.
    Aber William ging es gut. Er hielt sich das Herz, weil er spüren
wollte, wie es schlug. »Ich liebe dich und jeden Zentimeter deiner Haut, mein
lieber Junge! Bitte vergiß nicht, deine Schwester anzurufen.«
    Plötzlich wirkte William erschöpft. Hugo half ihm auf den Rücksitz des
Mercedes, wo William Burns so klein aussah wie ein Kind auf dem Weg zu seinem
ersten Schultag. Der Bodybuilder mußte ihn anschnallen und trat, bevor er sich
hinter das Steuer setzte, auf Jack zu, um ihm erneut ausgiebig die Hand zu
schütteln. Jack dachte schon, Hugo würde ihm womöglich den Arm abreißen.
    »Sie sind wirklich kein Schisser«, sagte Hugo zu Jack. Dann stieg er
ein, und sie fuhren weg.
    »Bis morgen!« rief Dr. Krauer-Poppe ihnen nach.
    [1124]  »Ich nehme mir ein Taxi nach Hause«, sagte Dr. von Rohr. »Ich
wohne in einem anderen Stadtteil«, erklärte sie Jack.
    In der Gegend des Bellevueplatzes gab es einen Taxistand, wo Dr.
Krauer-Poppe und Jack mit Dr. von Rohr warteten, bis sie ein freies Taxi
gefunden hatte. Die beiden Frauen gaben einander Wangenküßchen und sagten gute
Nacht.
    »Ich versichere Ihnen, Jack, ich bin nie vom Blitz getroffen
worden«, sagte Dr. von Rohr, als sie einander die Hand gaben. »Jedenfalls nicht
am Kopf. Ich denke schon, daß Ihr Vater mich mit einem Blitz getroffen hat,
aber nicht am Kopf, sondern im Herzen.«
    Jack ging mit Dr. Krauer-Poppe über die Quaibrücke. Sie spazierten
zusammen zum Hotel Storchen zurück. »Soll ich Sie bestimmt nicht nach Hause
begleiten?« fragte er sie.
    »Ich wohne in der Nähe Ihres Hotels«, sagte sie, »aber Sie würden
von dort aus nie zurückfinden. Die Straßen sind klein und völlig verwinkelt.«
    »Wie alt sind Ihre Kinder eigentlich?« fragte er sie. Es war eine
wunderschöne Nacht. Von der Limmat blinkten die Lichter der Stadt zu ihnen
herauf.
    »Zehn und zwölf, beides Jungen«, sagte Dr. Krauer-Poppe. »Wenn ich
mich je von ihnen verabschieden müßte, wie sich Ihr Vater damals von Ihnen
verabschieden mußte, würde ich mich umbringen. Oder ich würde in einer Anstalt
wie dem Sanatorium Kilchberg landen. Und bestenfalls nicht als Ärztin.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich liebe Ihren Vater und jeden Zentimeter seiner Haut«, sagte sie
lächelnd.
    »Wird es ihm je besser gehen?« fragte Jack sie.
    »Manchmal führt er sich viel schlimmer auf, als er es heute abend
bei Ihnen getan hat. Für Sie hat er sein bestes Benehmen an den Tag gelegt«,
sagte sie. »Aber es wird ihm weder jemals schlechter noch besser gehen. William
ist, wie er ist.«
    [1125]  »Er hat großes Glück, daß er bei Ihnen in Kilchberg sein kann«,
sagte Jack zu ihr.
    »Dafür müssen Sie sich bei Ihrer Schwester bedanken, Jack. Sie hat
dafür einiges an Opfern gebracht«, sagte Dr. Krauer-Poppe. »Haben Sie das ernst
gemeint, daß Sie hier ein Haus kaufen wollen?«
    »Ja, völlig ernst«, antwortete er.
    »Mein Mann kennt sich ein bißchen mit Immobilien aus. Wahrscheinlich
kann er Ihnen helfen. Ich habe bloß mit Medikamenten zu tun.«
    Sie waren am Weinplatz vor dem Storchen angelangt.
    »Soll ich Sie auch ganz bestimmt nicht –«, setzte Jack erneut an.
    »Ganz bestimmt nicht«, unterbrach sie ihn. »Ich werde schon zu Hause
im Bett liegen, während Sie noch mit Heather telefonieren. Vergessen Sie nicht,
sie anzurufen.«
    Aber Dr. Krauer-Poppe ging nicht, sondern blieb stehen. Jack spürte,
daß sie noch etwas loswerden wollte, aber womöglich fand, sie kenne ihn nicht
gut genug, um es zu sagen.
    »Sie gehen nicht nach Hause, Anna-Elisabeth?« fragte er.
    Sie schlug die Hände vors Gesicht, eine seltsam mädchenhafte Geste
für eine so ernsthafte (und schöne) Frau.
    »Was ist denn?« fragte er sie.
    »Eigentlich geht es mich nichts an – Sie haben ja schon eine
Therapeutin«, sagte sie.
    »Bitte sagen Sie mir, was Sie denken«, sagte Jack.
    »Ich finde, Sie sollten diese Therapie der Erzählung in
chronologischer Reihenfolge beenden«, sagte sie. »Und wenn Sie damit fertig
sind,

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