Bis in alle Ewigkeit
ich alles als Letzter, und das nicht einmal von dir, sondern von Fremden? In der Kaderabteilunghat man mir gesagt, du gehst für ein Jahr nach Deutschland. Wie hast du das geschafft, du stilles Wasser?«
»Ich wollte Sie nicht enttäuschen, Boris Iwanowitsch.«
»Mich nicht enttäuschen!«, äffte Bim sie mit Piepsstimme nach. »Wofür hältst du mich, Sofja? Ich freue mich für dich! Es ist doch toll, dass du es so weit gebracht hast. Wer hätte das gedacht? In welche Stadt gehst du denn?«
»Nach Hamburg.«
»Wohin?« Er hustete heiser. »Wie, direkt nach Hamburg? Und was wirst du dort machen?«
Sofja erzählte ihm ausführlich, wer sie eingeladen hatte und warum. Bim hörte schweigend zu, hustete nur ab und zu und trank einen Schluck.
Er ist offenbar auch erkältet, dachte Sofja und fragte: »Boris Iwanowitsch, sind Sie mir wirklich nicht böse?«
»Hör auf. Wir haben darüber gesprochen, und damit gut. Aber jetzt sag mir, wieso du plötzlich auf Agapkin kommst. Hast du etwa Sehnsucht nach dem Alten?«
»Ja, wahrscheinlich. Er hat sehr interessant von Sweschnikow erzählt.«
»Du willst dich wieder mit diesem vergessenen Genie beschäftigen?«
Bims Stimme klang immer angespannter. Er war schrecklich eifersüchtig auf Sweschnikow, jede Erwähnung des Namens ärgerte ihn, doch er selbst sprach ständig von ihm, so hitzig und böse, als wäre der Professor noch am Leben und ein ernsthafter Konkurrent für Bim.
»Nein, nein, es geht nicht um Sweschnikow«, beruhigte ihn Sofja. »Ich habe bloß Mama und Nolik von Agapkin erzählt, und sie haben mich ausgelacht, als ich sagte, wie alt er ist.«
»Das hättest du nicht tun sollen. Du weißt doch, dass das ein Geheimnis ist.« Bim lachte heiser.
Sofja stellte sich sein Gesicht vor und begriff, dass das Lachen falsch war. Der arme Bim ist mit den Nerven völlig runter, dachte sie mitleidig und sagte: »Boris Iwanowitsch, ich fliege schon bald, aber vorher kommen Mama und ich Sie auf jeden Fall besuchen. Oder kommen Sie doch zu uns.«
»In unserer Gefriertruhe liegen seit dem Sommer Pfifferlinge, euer Besuch ist ein Anlass, sie endlich zu braten und zu essen. Wir erwarten euch beide morgen gegen sieben. Abgemacht?«
Sofja bedankte sich und versprach zu kommen. Bevor sie Agapkins Nummer wählte, bekreuzigte sie sich plötzlich, ohne recht zu wissen, warum.
Lange nahm niemand ab. Dann schaltete sich ein Anrufbeantworter ein. Eine dumpfe Greisenstimme sagte deutlich und ärgerlich: »Guten Tag. Leider kann ich im Augenblick nicht rangehen. Bitte hinterlassen Sie nach dem Signal eine Nachricht.«
»Fjodor Fjodorowitsch, guten Tag, hier ist Sofja Lukjanowa. Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern, ich war vor rund einem Jahr einmal bei Ihnen.«
»Ja!«, tönte es heiser aus dem Hörer. »Ich erinnere mich sehr gut an Sie. Was wünschen Sie?«
Sofja war aufgeregt und begann verworren zu erklären, sie habe alte Fotos in die Hand bekommen, auf denen sie Michail Sweschnikow erkannt habe. Ob Fjodor Fjodorowitsch sich die Mühe machen würde, einen Blick darauf zu werden, denn sie glaube, nur er könne ihr sagen, wer außer Sweschnikow noch darauf sei.
»Wie sind Sie zu den Fotos gekommen?«, unterbrach sie Agapkin.
»Das würde ich Ihnen gern erzählen, wenn wir uns sehen.«
Agapkin schwieg lange. Sofja befürchtete schon, er sei vielleicht eingeschlafen, mit der Pfeife in der Hand. Sie hörteSchnaufen, das Geräusch laufenden Wassers, dumpfes Klopfen und Klacken und Musik, vermutlich eine italienische Oper.
Zwischen all den Geräuschen glaubte Sofja eine tiefe Männerstimme auszumachen, die dicht neben dem alten Mann sagte: »Na, na, schon gut, beruhigen Sie sich«, worauf der Greis heiser klagend antwortete.
»Fjodor Fjodorowitsch«, fragte Sofja schließlich, »hören Sie mich?«
Der Greis hustete heftig und sagte dann: »Wissen Sie die Adresse noch? Nein. Schreiben Sie. Sie können kommen, wann Sie wollen. Ich freue mich immer über Sie. Aber kommen Sie bitte allein.«
Moskau 1916
Am Morgen stieß Tanja auf dem Weg ins Gymnasium mit einem schnurrbärtigen jungen Mann in Lackstiefeletten zusammen. Er lüftete respektvoll den Hut.
»Sind Sie der Mann, der auf dem Dachboden von Madame Cottie wohnt?«, fragte Tanja.
»Ja, Mademoiselle. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Konstantin Afanassjewitsch Nikiforow. Und Sie sind Tatjana Michailowna Sweschnikowa? Sehr angenehm.« Er wollte Tanja die Hand küssen, doch sie entzog sie ihm und sagte: »Sie
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