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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Dachboden im Haus gegenüber jemand wohne.
    »Ja, Madame vermietet ihn seit einer Woche an einen Maler«, antwortete Marina. »Ein stattlicher Mann, mit Schnurrbart und Lackstiefeletten.«
    Vor dem Schlafengehen badete Tanja Ossja und entdeckte, dass auf dem kahlen Kopf dunkler Flaum wuchs. Am Morgen spuckte Ossja zwei Zähne aus.
    »Das sind Milchzähne«, sagte Sweschnikow.
    Als drei weitere Zähne ausgefallen waren, ging der Professor mit Ossja zum Zahnarzt.
    »Meine Milchzähne sind schon ausgefallen, das hier sind die neuen, aber sie sind sehr schnell verfault, obwohl ich sie immer ordentlich mit Zahnpulver geputzt habe, morgens und abends«, versicherte Ossja.
    »Erzähl keinen Unsinn«, sagte der Zahnarzt, »der Mensch bekommt nur einmal im Leben neue Zähne. Dir fallen die Milchzähne aus, die neuen brechen schon durch. Etwas spät, aber das kommt vor.«
    »Haben Sie bemerkt, dass hier niemand vor mir erschrocken ist?«, fragte Ossja flüsternd, als sie hinausgegangen und in eine Droschke gestiegen waren.
    Tatsächlich hatten der Zahnarzt, sein Assistent, die Schwestern und die anderen Patienten Ossja wie ein normales Kind behandelt. Abgemagert und kahlgeschoren war er wohl, so mochten sie vermuten, weil er Typhus gehabt hatte.
    Die Droschke hielt vorm Haus. Sweschnikow wollte Ossja tragen.
    »Ich will selber!«, sagte Ossja.
    Ein junger Mann versperrte ihnen den Weg, dick und rotwangig, mit einem durchscheinenden roten Bärtchen, in einem leichten hellen Mantel und mit einem weichen Hut. Wie aus dem Erdboden gestampft, stand er plötzlich da.
    »Professor, nur ein paar Worte, ich flehe Sie an! Sie haben einJugendelixier erfunden. Warum wollen Sie ihre geniale Entdeckung nicht öffentlich machen? Ist das der Junge mit der seltenen Krankheit? Progerie, Frühvergreisung. Wie Sie sehen, kenne ich mich ein wenig aus in der Medizin.«
    »Lassen Sie mich vorbei«, sagte der Professor.
    Der schnurrbärtige alte Portier öffnete ihnen die Tür, verbeugte sich vor Sweschnikow und lächelte und zwinkerte Ossja zu.
    »Haben Sie Ihre Medizin an ihm ausprobiert? Er sieht ausgezeichnet aus. Wie geht es dir, Junge?«, konnte der Dicke noch schreien, bevor der Portier ihn mit der Schulter wegdrängte und ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
Moskau 2006
    Sofja erwachte und roch Kaffee, Toast und das Parfüm ihrer Mutter. Gerade hatte sie geträumt, dass ihre Eltern in der Küche frühstücken, als wäre die Mutter nie weggegangen und der Vater nicht gestorben. Im Traum konnte man alles zurückdrehen, Fehler korrigieren, mit einem magischen Radiergummi alles Böse, Kränkende, nicht Wiedergutzumachende auslöschen.
    »Steh auf, in einer Stunde kommt ein Kurier von Subow«, sagte die Mutter, »er bringt einen Fragebogen, den du gleich ausfüllen sollst. Hast du Fotos für einen Reisepass?«
    »Nein. Habe ich noch nicht geschafft.«
    »Ach, du mein Unglück! Schnell unter die Dusche und dann ab zum Fotografieren. Subows Sekretärin hat gesagt, Pass und Visum sind in zwei Tagen fertig. Das Ticket ist schon gebucht. Nun steh endlich auf!«
    »Mama, vielleicht lass ich es einfach sausen, dieses Deutschland?«, murmelte Sofja und schloss die Augen wieder.
    »Red keinen Quatsch. Steh auf.« Die Mutter riss ihr die Decke weg, wie in Sofjas Kindheit, wenn sie nicht um sieben aufstehen und in die Schule gehen wollte. »Wenn du wiederkommst, gibt’s Frühstück. Der Fotograf ist gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Sie machen bestimmt auch Sofortbilder.«
    Sofja stand folgsam auf und ging duschen. Sie war unausgeschlafen. Ihr Spiegelbild missfiel ihr. Plötzlich verspürte sie eine heftige Unlust, nach Deutschland zu fliegen, ein neues Leben anzufangen. Sich in eine Ecke verkriechen und alles lassen, wie es ist – das war ihre übliche Haltung.
    Das Labor im Institut, das Sofa zu Hause, Schreibtisch, Computer, Bücherregale – das hatte ihr immer genügt. Ihr Umgang beschränkte sich auf einige Arbeitskollegen, seltene, kurze Affären und den treuen Freund Nolik. Sie war noch nie im Ausland gewesen und am Meer nur zwei- oder dreimal als kleines Kind, mit ihren Eltern. Ihren Urlaub verbrachte sie zu Hause, auf dem nämlichen Sofa. Sie las und schlief, schrieb diesen oder jenen Artikel, zum Beispiel über die Bildung von Amiloid-Glykoproteinen im Gehirn bei Alzheimer-Erkrankung oder über die mitotische Strahlung zerfallender Eier von Seeigeln, Amphibien und Zellen bösartiger Geschwulste bei Kleinsäugern.
    Nützliche Leute

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