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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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Agapkin.
    »Nein. Wir haben bei den Ratten noch nicht alles begriffen«, widersprach der Professor.
    »Aber es gab bereits einen Menschenversuch.«
    »Das war kein Versuch. Das war ein Akt der Verzweiflung.« Der Professor seufzte. »Zudem ist Ossjas Fall so atypisch, dass wir daraus keinerlei Schlüsse ziehen dürfen. Es handelte sich janicht um einen auf natürliche Weise gealterten Erwachsenen, sondern um eine seltene und rätselhafte Krankheit. Ossja wurde nicht verjüngt. Er hat sein wirkliches Alter zurückerlangt.«
    In den Straßen von Moskau liefen so viele arme alte Bettler herum, die niemand brauchte! Agapkin bemühte sich, sie nicht anzusehen. Er stellte sich vor, wie er ihnen Injektionen verpasste, sie beobachtete und mit stockendem Herzen wartete.
    Wenn Agapkin im Lazarett auf einen Patienten über vierzig traf, dessen Verwundungen keine Hoffnung auf Genesung zuließen, zitterten ihm die Hände. Er schaute den Professor an, doch der schüttelte kaum merklich den Kopf: Nein.
    Er sagt mir nicht alles, dachte Agapkin, den Blick auf den über das Mikroskop gebeugten Kopf des Professors gerichtet. Er versteckt sein Heft. Wolodja hat das Schubfach aufgebrochen, aber nichts gefunden.
    Dem Ratz Grigori fiel das Fell aus. Er zog die Hinterpfoten nach und interessierte sich nicht mehr für junge Weibchen.
    »Er hat fast zweihundert Rattenjahre gelebt«, sagte der Professor, »das reicht vorerst.«
    »Wir sollten es mit einer Injektion versuchen«, wiederholte Agapkin.
    »Gut, Fjodor. Ich überlege es mir. Aber unternehmen Sie bitte nichts ohne mich. Denken Sie daran, wir verfügen nur über eine begrenzte Menge des Präparats. Wir können den Parasiten nicht dazu bringen, sich zu vermehren, ihn nicht künstlich kultivieren. Er gehorcht uns noch nicht, er macht, was er will.«
    Agapkin wartete ergeben im Labor, bis der Professor aus dem Lazarett kam, und schlief unversehens ein. Nach einer Dreiviertelstunde hatte er einen Alptraum.
    Ein Seil umschlang seinen Hals, ein sogenanntes Schlepptau. Das lange Ende schleifte hinter ihm auf dem Boden. Über seinenKopf war eine Kapuze gestülpt wie bei einem Hinrichtungskandidaten. Er hatte keine Hose an, nur eine Unterhose und einen unbequemen langen Kittel. Am rechten Fuß trug er einen Pantoffel, der linke war nackt. Jemand führte ihn an der Hand. Er folgte blind und fürchtete nur eines: dass jemand hinter ihm auf das Ende des Seils trat und die Schlinge sich zuzog.
    Verkleidungen, symbolische Begrüßungen, Frage-und-Antwort-Spiel, Hammer, Zirkel, Schürze, ein Kreidekreis auf dem Boden – das alles war ihm vor einem Monat in Renatas halbdunklem Salon zutiefst sinnvoll und bedeutend erschienen. Doch schon nach kurzer Zeit hatten die Alpträume begonnen. In seinem Kopf hallten die Worte des Schwurs:
    »Wenn ich je bewusst die Pflichten eines Lehrlings verletze, soll mich die strengste Strafe treffen, dann möge man mir die Kehle durchschneiden, die Zunge mit der Wurzel herausreißen und meinen Körper beim niedrigsten Wasserstand in feuchtem Sand begraben, dort, wo die Flut zweimal am Tag steigt und sinkt.«
    An der Grenze zwischen Schlafen und Wachen, im Halbdämmer, erschien ihm die furchtbare Strafe ganz real und bedrohlich, als hätte er die Pflichten eines Lehrlings bereits verletzt und würde unweigerlich auf diese grausige Weise getötet werden. Die Worte des Schwurs hallten unabhängig von seinem Willen in ihm, wie sich mitunter der Text eines albernen Liedchens im Kopf festsetzt. Er hatte das Gefühl, als wäre in dem Moment, da er all das sagte, etwas Wichtiges in ihm gestorben, ein Blutgefäß geplatzt.
    Früher hatte er geglaubt, das Aufnahmeritual würde ihm tiefe Geheimnisse enthüllen. Aber das geschah nicht. Chudolej las mit seiner dumpfen Stimme einen Text aus der Tabula Smaragdina von Hermes Trismegistos vor.
    Agapkin hörte zu und schaute hinüber zu Renata, auf ihre schwere Brust, ihre runden Knie unter der Tunika.
    »Das Fleisch ist individuell, markant und verführerisch. Das Fleisch ist grausam und fordernd. Geweihte vergessen, dass sie einen Geist haben. Sie vergessen sogar, dass sie eine Seele haben, die als Mittlerin zwischen Geist und Leib dient.«
    Agapkin sah die abgeknabberten Fingernägel der Gymnasiastin Sina vor sich, ihren gerundeten Bauch. Chudolej hatte mit ihr eine mystische Ehe geschlossen, aus der in etwa drei Monaten eine ganz reale Frucht hervorgehen würde. Doch das schien niemanden zu kümmern.
    Wo werden sie das Kind lassen?

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