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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
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besorgt. »Wissen Sie das genau?«
    Colts Augen spiegelten echten kindlichen Kummer. Er weinte beinahe.
    »Medizin und Biologie kann man kaum als exakte Wissenschaften bezeichnen.« Der Professor zuckte die Achseln und zwinkerte fröhlich. »Schön, damit Sie nicht so traurig sind, erzähle ich Ihnen den Mythos, der mir persönlich am glaubwürdigsten erscheint und am besten gefällt.«
    »Ja, ja! Ich höre!« Colt strampelte vor Ungeduld mit den Beinen und reckte den Hals vor, um auch kein Wort zu versäumen.
    Der Schweizer seufzte und lehnte sich entspannt im Sessel zurück.
    »Der Einzige, der mit Verjüngungsversuchen reale Erfolge erzielt hat, war der russische Professor Michail Sweschnikow, aber niemand weiß, worin seine Methode bestand. Seine gesamten Aufzeichnungen sind während der Revolution und des Bürgerkrieges verschwunden. Auch er selbst ist verschwunden, bis heute ist nicht genau bekannt, wo und wann er gestorben ist und ob er überhaupt tot ist.«
Moskau 1916
    Ende Mai kam Sweschnikows jüngere Schwester, Tante Natascha, aus Jalta, verbrachte eine Woche in Moskau und nahm dann Tanja, Andrej und Ossja mit nach Jalta. Ossjas Gesundheit war nicht mehr gefährdet. Er war noch immer mager und schwach, ermüdete rasch und schwitzte nachts stark, doch sein Herz schlug ruhig, und seine Hände zitterten schon lange nicht mehr. Sein Kopf war mit dunklem Babyflaum bedeckt. Die Falten waren weg, Wimpern und Augenbrauen nachgewachsen. Hin und wieder fieberte er am Abend leicht, aber nur, weil wieder ein Zahn durchbrach.
    Seine Hausgenossen, die ihn jeden Tag sahen, bemerkten die erstaunlichen Veränderungen kaum. Doch als Tanja ihn vor ihrer Abreise ins Lazarett mitnahm, erkannte Schwester Arina ihn nicht und fragte: »Zu wem gehörst du, Junge?« Und dann fiel sie beinahe in Ohnmacht, bekreuzigte sich, weinte und murmelte: »Ein Wunder, ein Wunder! Gott segne ihn!«
    Sogar dem Feldscher Wassiljew kamen die Tränen. Er umarmte Ossja und sagte: »Na, Bruder, jetzt darfst du nicht mehr krank werden, jetzt musst du lange leben und fleißig lernen. Wenn du groß bist, wirst du vielleicht Schriftsteller, so schöne Geschichten, wie du uns immer erzählt hast! Und wenn du ein Buch schreibst, denk dran, schreib auch über mich, von wegen: Da war der Feldscher soundso.«
    Der Chirurg Potapenko drehte Ossja herum, befühlte ihn, schaute ihm in den Hals, schlug ihm mit einem Hämmerchen aufs Knie und schüttelte den Kopf. »Ich habe schon einiges gesehen, auch schon selbst Menschen aus dem Jenseits zurückgeholt, selten, aber es kam vor, doch so etwas hätte ich mir nicht vorstellen können. Wir müssen ein Konsilium zusammenrufen, Studenten herholen. Das glaubt doch sonst niemand.«
    »O nein!«, sagte Tanja. »Keine Studenten! Nein!«
    »War nur ein Scherz, ein Scherz. Nicht böse sein.«
    Auf dem Bahnhof hing Ossja an Sweschnikow, umschlang ihn mit Armen und Beinen.
    »Du tust ja, als ob du dich für immer von mir verabschiedest«, sagte der Professor und stellte ihn vorsichtig auf den Boden.
    Der Erster-Klasse-Wagen versetzte Ossja in gelinde Verblüffung. Er bewunderte und befühlte die Vorhänge, die Samtliegen, die Messingtürknäufe, den Lacktisch, und bekam blanke Augen. Der Zug fuhr los. Ossja hatte zum ersten Mal rote Wangen. Er stand im Gang am Fenster, die Nase an die Scheibe gepresst.
    »Hast du bemerkt, er sagt schon seit anderthalb Stunden kein Wort«, flüsterte Andrej Tanja ins Ohr. »Er ist wie ausgewechselt.«
    »Mein Bruder ist natürlich ein diagnostisches Genie«, sagte Tante Natascha, »aber diesmal hat er sich geirrt. Als er mir von Ossja geschrieben hat, habe ich extra in einem medizinischen Lexikon über Progerie nachgelesen. Ich denke, Michail hat eine ganz normale Dystrophie dafür gehalten. Obst, Sonne, baden im Meer – das braucht er. Ihr beide übrigens auch. Ihr seid alle beide blass und dünn. Tanja, ich hoffe, du verzehrst dich nicht nach einem schnurrbärtigen Leutnant?«
    »Nein, Tante«, sagte Tanja.
    Andrej prustete vielsagend.
    »Was?« Die Tante sah ihn an. »Na los, erzähl schon!«
    Andrej wurde rot und schielte zu Tanja. Sie runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
    »Wenn ihr nicht reden wollt, dann eben nicht.« Die Tante seufzte. »Ihr habt mich nicht lieb, ihr habt mich vollkommen vergessen, in einem ganzen Jahr kein einziger Brief, keine einzige Postkarte.«
    »Wir haben dich sehr lieb, wir haben dich nicht vergessen!« Tanja setzte sich neben sie,

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