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Bis in den Tod hinein

Bis in den Tod hinein

Titel: Bis in den Tod hinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Kliesch
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gerade einen kleinen Engpass, oder? Entschuldigen Sie die Frage; es geht mich ja eigentlich nichts an.«
    Tatsächlich war Wendorff von dieser Äußerung überrascht. Mit fragendem Blick blieb sie in der Küchentür stehen, hinter der sie eigentlich kurz verschwinden wollte, um in dem kleinen Spiegel über der Spüle ihr Aussehen zu kontrollieren.
    » Wie meinen Sie das?«, fragte sie leicht konsterniert.
    » Ich meine damit, dass Sie meines Erachtens für das Korrektorat des Fadenkreuz nicht engagiert worden sind, weil Ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet der deutschen Sprache so überragend sind, sondern wohl viel eher deswegen, weil Sie Ihrem Großonkel mitgeteilt haben, dass Sie Geld benötigen.«
    Mit einem Mal war Sonja ihr Äußeres nicht mehr wichtig.
    » Ich weiß wirklich nicht, warum ich mit Ihnen…«, begann sie, wurde aber sofort unterbrochen.
    » Die Kleine braucht einen Job. Das wird er zur Personalchefin gesagt haben. Wo stecken wir sie denn hin?«
    Der eigentlich unscheinbare Anselm wirkte auf Sonja schlagartig beängstigend. Beinahe unwirklich stand er mit schweißbedeckter Stirn und in seinem schweren Mantel mitten in ihrem Wohnzimmer, bewegte sich kaum, fixierte sie mit unruhigem Blick und wirkte dabei auf seinen weißen Socken fast schon bizarr.
    » Geben wir ihr doch einen Ghostjob, wird sie geantwortet haben. Einen Posten, auf dem sie nicht stört, der sie beschäftigt und den sowieso kein Mensch braucht. Schicken wir sie doch einfach zu diesem Drexler ins Korrektorat. Zu dem Spinner, der dummerweise schon so lange bei uns ist, dass ihm zu kündigen teurer wird, als ihn einfach zu behalten.«
    » Bisher waren alle mit meiner Arbeit zufrieden«, verteidigte sich Sonja aus einem Reflex heraus, und schon im nächsten Augenblick bereute sie es, ihr Gegenüber damit möglicherweise gereizt zu haben.
    » Alle erhebt Anspruch auf Vollständigkeit«, fuhr dieser ihr auch sofort über den Mund. » Wenn nur einer unzufrieden ist, kann das Wort korrekterweise nicht mehr eingesetzt werden. Ich zum Beispiel bin nicht zufrieden. So viel zu alle.«
    » Warum sind Sie hier?«, traute sich Sonja jetzt zu fragen. Unwillkürlich suchten ihre Blicke nach dem Brotmesser, das ganz in ihrer Nähe neben der Spüle lag.
    » Ich werde das Korrektorat aufgeben müssen«, erhielt sie zur Antwort. » Und das wirft die Frage meiner Nachfolge auf.«
    Sonja war erleichtert. Die Ankündigung Drexlers, der ihr mit jedem Augenblick unheimlicher erschien, beruhigte sie ein wenig.
    » Sie wollen kündigen? Hat das mit Ihrem Vater zu tun?«, erkundigte sie sich.
    » In gewisser Weise.«
    Anselm bemerkte Wendorffs fragenden Blick und ersparte ihr die Nachfrage.
    » Es geht um mein Kind. Das Kind, das ich nicht habe.«
    » Ich verstehe nicht…«, stotterte Sonja, der nicht entgangen war, dass Anselm sich noch immer keinen Millimeter bewegt hatte. Nicht einmal seinen Gesichtsausdruck hatte er verändert, seit er einfach in der Mitte des Wohnzimmers stehen geblieben war.
    » Der Großvater gibt es dem Vater weiter, der Vater dem Sohn, der Sohn wiederum seinem eigenen Sohn. So ist es seit Menschengedenken. Auf diese Weise bleiben die Werte erhalten, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind. Und was ist jetzt? Jetzt stehe ich da, am Sterbebett meines Vaters, und was weise ich ihm vor? Einen lebenslangen Kampf gegen Windmühlen! Über Jahrzehnte habe ich immer dieselben Fehler bei immer denselben Autoren korrigiert. Glauben Sie, die hätten das irgendwann mal bemerkt, geschweige denn daraus etwas gelernt? Im Gegenteil! Ausgelacht haben sie mich – hinter meinem Rücken!«
    » Ich habe nicht ein einziges Mal mitbekommen, dass jemand im Verlag über Sie gelacht hätte. Bittrich zum Beispiel schätzt Ihre Arbeit sehr.«
    » Und unser Chefredakteur?«
    Sonja konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Großonkel auch nur ein einziges Mal ein Wort über Anselm oder das Korrektorat verloren hatte. Vermutlich, so kam es ihr in den Sinn, hatte Drexler mit seiner Unterstellung, man habe ihr den Posten nur gegeben, weil er ohnehin als bedeutungslos angesehen wurde, tatsächlich recht.
    » Der schätzt Ihre Kompetenz sehr«, log sie dennoch.
    Anselm verharrte zwar in seiner Position, wippte jetzt aber zweimal kurz mit dem Oberkörper nach vorn.
    » Mein Vater hat mir damals etwas anvertraut, das mich seitdem durch mein Leben geführt hat«, schilderte er dann weiter. » Ich wollte es auch meinem Sohn weitergeben, aber die Dinge sind anders gekommen.

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