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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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der Stoff nass. Eine leere Weinbrandflasche kullert hin und her. Wenn die Hochbahn sich in die Kurve legt, sieht es aus, als fiele der Penner gleich von der Bank. Um ihn herum viele leere Plätze. Jojo macht Anstalten, die Bänke gegenüber dem Penner zu besetzen. Aber Miranda wehrt sich.
    »Da setz ich mich auf keinen Fall hin!«, zischt sie.
    Sie bleiben also stehen. Obwohl der besoffene Penner sie doch anwidert, kann Miranda den Blick nicht von ihm abwenden.
    Typisch Weiber, denkt Marvel. Er und seine Freunde haben den Penner mal kurz abschätzend betrachtet und die Lage gecheckt, jetzt gucken sie weg. Jungen können so was: einen Anblick einfach verdrängen. Sie setzen ihre Flaschen an die Lippen, trinken, schauen sich dabei in die Augen. Alles Ritual. Das Rülpsen, das sonst als Ausdruck von Wohlbefinden obligatorisch ist, unterdrücken sie aus Rücksicht auf Miranda. Dabei merkt Miranda gar nicht, wie höflich ihre Begleiter sind. Sie verbeißt sich geradezu in den Anblick des Penners. Ihre Nase kräuselt sich, weil ein starker Geruch von dem Mann ausgeht, und ihr ganzes Gesicht zieht sich vor Ekel zusammen.
    »Er pinkelt in die Hosen!«, flüstert sie.
    Marvel tut, als habe er keine Ahnung, wovon sie redet. »Wer?«, fragt er.
    »Der Penner da!«
    »Guck einfach nicht hin«, rät Mauki. Er verstellt ihr mit seinem breiten Rücken die Sicht auf den Penner. Aber Miranda beugt sich sogar vor, um unter seinen Armen hindurch noch einen weiteren Ekelblick zu erhaschen.

    »Nicht hingucken!«, warnt Jojo. Er leert seine Jägermeisterflasche. Da war noch ein Rest drin. Ein Fingerhut voll, mehr nicht.
    Miranda scheint es erst jetzt zu bemerken. »Was trinkst du denn da?«, fragt sie. Als wenn sie noch nie eine kleine Jägermeisterflasche gesehen hätte.
    Jojo tut, als habe er ein schlechtes Gewissen. »Ist mir echt peinlich«, sagt er. »Aber wir hatten nur vier von den Dingern dabei. Hier«, er reicht ihr großzügig das Fläschchen, »der letzte Schluck. Nimm ruhig.«
    Miranda runzelt die Stirn.
    »Jägermeister! Kennst doch die coole Werbung mit dem sprechenden Hirsch«, sagt Marvel.
    Miranda lehnt Jojos großzügiges Angebot entrüstet ab. Sie schaut Marvel an. »Du hat das auch getrunken?«
    »Klar.«
    »Wieso ist das klar?«, fragt Miranda.
    »Sie hat recht.« Bully grinst, »Jägermeister ist kein Klarer.«
    Der Penner rutscht gänzlich von der Bank und bleibt auf dem dreckigen Fußboden liegen. Jojo stellt sich auch noch neben Mauki, um eine Mauer zu bilden. Alles, um Miranda den Anblick zu ersparen.
    »Nur zum Vorglühen«, erklärt Bully.
    »Vorglühen?«
    »Ja. Kennste nicht? Mann, was bist du eigentlich für eine?«
    »Ihre Eltern kommen aus Spanien«, sagt Marvel, als würde das irgendwas erklären.
    Und schon sagt Mauki prompt: »In Spanien haben sie das Saufen doch erfunden. Die Botellónes, so heißt das, das Massensaufen an den Stränden! Wenn tausend Jugendliche sich treffen, nur mit dem Ziel, sich gemeinsam zu besaufen.«
    »Geil!« Jojo zwinkert Mauki zu.

    »Ihr habt trotzdem nicht gesagt, was Vorglühen ist«, wiederholt Miranda.
    »Sie denkt vielleicht, es ist was Sexuelles«, raunt Bully Marvel ins Ohr. »Erklär’s ihr.«
    »Also, das ist so was wie der Startknopf für den Spaßmotor«, erklärt Marvel nach kurzer Überlegung. »Danach läuft er schneller rund.«
    Miranda runzelt die Stirn. »Der Motor?«
    »Ja. Mit anderen Worten: Nach dem Vorglühen kommt man schneller auf Touren.«
    Die anderen lachen.
    Der Penner kommt langsam wieder zu sich, rappelt sich auf, stöhnt, brabbelt irgendwas vor sich hin. Sabber quillt ihm aus dem Mund.
    »Ich will hier raus«, sagt Miranda. »Sonst wird mir schlecht.«
    An der nächsten Station steigen sie aus und spurten einen Waggon weiter vor. Ganz automatisch greift Miranda nach Marvels Hand. Marvel denkt, das darf aber jetzt nicht einreißen, glücklicherweise gucken die anderen gerade nicht.
    In dem Waggon ist Fahrkartenkontrolle. Miranda zeigt ihre Karte vor, die anderen ihre Ausweise.
    »Im nächsten Wagen«, sagt Miranda zu dem Kontrolleur, »liegt ein Betrunkener.«
    »Aha.« Der Kontrolleur hebt den Kopf und schaut durch die breiten Scheiben in den hinteren Waggon. »Ich seh aber nichts.«
    »Der Mann liegt am Boden«, sagt Miranda hastig, »den können Sie von hier nicht sehen.«
    »Gut.« Der Kontrolleur nickt.
    »Das ist total eklig.«
    »Denk ich mir.«

    »Was machen Sie mit dem?«, fragt Miranda.
    »Den schauen wir uns erst mal an, junges

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