Bis ins Koma
Jungs andere Wesen sind. Dass Jungs zum Beispiel gern mit einer Bierflasche in der Hand in die U-Bahn steigen. Weil das zurzeit angesagt ist. Alle coolen Typen haben abends eine Bierflasche in der Hand, wenn sie Party machen. Eine Bierflasche an den Lippen ist cooler als ein Handy am Ohr. Und macht mehr Spaß. Und das war die Ansage für diesen Abend: Sie wollen es krachen lassen. Sie wollen genauso viel Spaß haben wie die anderen. Miranda hin oder her.
Vor dem U-Bahn-Eingang gibt es einen Kiosk, über dem TRINKHALLE steht. Marvel holt da immer seine Comics, Gummibärchen, Lakritzschnecken und manchmal eben auch was zu trinken.
Während Miranda, die keine Monatskarte besitzt, sich am Automaten eine Fahrkarte zieht, holen die Jungs sich in der TRINKHALLE jeder eine Flasche Bier und einen kleinen Jägermeister. Das war Bullys Idee. Zum Vorglühen was Kurzes, Hochprozentiges.
Sie kippen sich das Zeug verstohlen hinter die Binde, während Miranda noch mit den Tücken des Fahrkartenautomats kämpft.
Als das scharfe Zeug durch seine Kehle rinnt, denkt Marvel, dass Bully recht hat. Man spürt sofort die Wirkung. Sofort passiert etwas in seinem Kopf und in seiner Kehle auch, wie wenn sich ein paar trübe Placken seines Gehirns gelöst hätten und er wieder klarer sehen könnte. Ein Lachreiz würgt ihn, weil es doch komisch ist, wie sie heimlich trinken und Miranda das nicht checkt.
»Unsere Bahn!«, schreit Jojo plötzlich. Sie spurten nach oben. In dieser Gegend von Hamburg fährt die U-Bahn auf Stelzen und heißt deshalb Hochbahn. Mindestens sechzig Stufen sind es bis zum Bahnsteig.
»Marvel! Wartet doch!«
Marvel bleibt mitten auf der Treppe stehen und schaut sich um.
»Mann! Ihr seid so schnell!«, keucht sie. »Ich kann mit diesen Schuhen nicht rennen!«
»Warum hast du sie dann an?«, fragt Marvel, aber die Frage bereut er sofort, als er Mirandas Reaktion sieht. Etwa Tränen? Wegen so was? »Schon gut, »murmelt er, »sind tolle Schuhe.« Marvel nimmt ihre Hand und zieht sie die Treppe hoch.
Als sie endlich im Waggon stehen, tun Marvels Kumpel so, als sei Miranda irgendwie gar nicht da. Sie schauen an ihr vorbei. Sie sind fest entschlossen, Spaß zu haben.
Sie setzen sich nicht, sie halten sich an dieser Eisenstange fest, an die man auch Fahrräder anketten kann. Sie öffnen ihre Flaschen, stoßen an. Jojo grinst, als er seine Flasche gegen Marvels Bier stößt. »Ach sieh an. Du hier? Nicht in Hollywood?«
»Sonst hast du keine Schmerzen?«, gibt Marvel zurück.
Mauki öffnet mit den Zähnen den Kronkorken seiner Flasche. »Alles frisch?«, fragt er strahlend in die Runde.
Keiner der Fahrgäste reagiert. Miranda macht ein Gesicht, als wäre sie jetzt gern woanders.
»Möge der Saft mit dir sein«, sagt Bully.
»Eine meiner leichtesten Übungen«, gibt Marvel fröhlich zurück.
»Was quatscht ihr da eigentlich für einen Blödsinn?« Miranda zupft verlegen an ihrem Kleid herum.
»Die Lady hat recht«, sagt Mauki. »Tut uns leid. Aber heute gibt’s was zu feiern. Prösterchen.« Er hebt seine Bierflasche und dreht sich einmal um die eigene Asche.
Miranda verzieht bei jedem dieser Sprüche das Gesicht. Als Marvel ihr seine Bierflasche reicht, weil sie vielleicht auch eine trockene Kehle hat, stößt sie seine Hand empört weg. Bier schäumt aus der Flasche auf den Boden.
»Oh, der edle Hopfen!«, meint Jojo mitfühlend. Er streckt Marvel seine Bierflasche hin. »Hier, kriegst einen Schluck von meinem.«
»Heißen Dung«, sagt Marvel, nachdem er erst einen Schluck aus seiner und dann einen Schluck aus Jojos Flasche genommen hat. »Wär aber nicht nötig gewesen.«
»Ihr benehmt euch wie Fünftklässler«, stöhnt Miranda. »Wieso bin ich bloß mitgekommen?«
Die Jungen schauen sich an, als fragten sie sich das auch. Sie ziehen gleichzeitig die rechte Augenbraue hoch wie Huberti, wenn er äußerste Missbilligung zum Ausdruck bringen will - und müssen lachen.
»Was war so witzig?«, fragt Miranda angezickt.
»Du«, sagt Marvel. Er sagt es nett. Er meint es auch fast so.
Miranda sieht ihn zweifelnd an. Er lächelt. Da lächelt sie zurück.
»Alles paletti?«, raunt Marvel ihr ins Ohr.
Sie nickt.
Die Lage entspannt sich wieder.
Aber an der nächsten Station steigt ein Fahrradkurier mit seinem
Rennrad ein und sie müssen ihren schönen Platz an der Eisenstange räumen und weiter in den Waggon hinein.
Auf der hinteren Sitzbank liegt ein Penner. Er schnarcht. Zwischen seinen Hosenbeinen ist
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