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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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während das neue Kind auf dem Fußboden ihrer Puppe gerade einen Arm auskugelt.
    Sein Vater hat, solange Marvel sich erinnern kann, immer abends um sieben Nachrichten geschaut. Erst das ZDF und dann um acht die Tageschau. Da durfte man ihn nicht stören. Deshalb geht er kurz vor sieben. Sein Vater aber besteht darauf, ihn noch bis zur U-Bahn zu bringen.
    »Da fangen doch die Nachrichten schon an«, sagt Marvel.
    Sein Vater lacht. »Na und? Dafür hab ich meinen Sohn ein bisschen länger.«
    Caren sagt zum Abschied: »Komm bald wieder.« Sie streicht mit der Hand über seinen Arm. »Dein Vater freut sich.«
    »Mach ich«, antwortet Marvel.
    Und in dem Augenblick meint er das auch.
    Zum Abschied drückt sein Vater ihm etwas in die Hand. »Das kommt jetzt vielleicht ein bisschen plötzlich. Aber, mein Sohn, du sollst wissen, dass du jederzeit willkommen bist.«
    Marvel betrachtet den Haustürschlüssel. »Alles braucht seine Zeit«, sagt er.

12
    S eine Mutter und DocMike sind noch nicht von ihrem Wochenendtrip zurück, als Marvel nach Hause kommt. Die Wohnung ist dunkel und still und so abweisend, als wohne hier niemand, den er kennt. Aber es ist ihm egal.
    Im Kühlschrank findet Marvel außer den Lieblingsjoghurts seiner Mutter nur ein paar Scheiben Mortadella, die sich an den Rändern bereits wellen. Früher hätte ihm das die Laune verdorben, aber jetzt klemmt er sie zwischen zwei matschige Weißbrotscheiben, die er vorher mit Majo bestrichen hat, und geht mit dem Sandwich auf den Balkon. Er fühlt sich leicht. Und gut. Er fühlt sich wie früher, wenn er erschöpft, aber glücklich vom Sporttraining kam. Wenn er so richtig ausgepumpt war.
    Ihm fällt die Melodie ein, die sein Vater in der Küche gepfiffen hat. Er pfeift sie leise nach, während er sieht, wie unten Miranda auf ihrem Fahrrad um die Ecke kommt. Wie sie sich vorsichtig, leicht schwankend, ihren Weg zwischen den Autos hindurch auf den Bürgersteig sucht. Wie sie absteigt und ihr Fahrrad mit einer überdimensionalen Kette an den Pfosten schließt. Wie sie eine Basttasche mit langen Lederriemen vom Gepäckträger nimmt und über die Schulter hängt. Eine typische Miranda-Basttasche. In Spanien tun sie da wohl Badeanzug und Sonnencreme rein und gehen damit an den Strand.
    Als ahne sie, dass er da steht, wandert Mirandas Blick nach oben.
    Marvel winkt.

    Erstaunt, aber verhalten winkt sie zurück.
    »Hey!«, ruft er, über das Balkongeländer gebeugt. »Lange nicht gesehen. Wie geht’s?«
    »Gut«, antwortet Miranda vorsichtig.
    Es wirkt, als habe sie sich geschworen, sich nie mehr von einem Typen wie Marvel verletzen zu lassen. Marvel verspürt plötzlich den Wunsch, es wiedergutzumachen und überhaupt wieder netter zu den Menschen zu sein.
    »Warte!«, ruft er. »Ich komm mal runter.«
    Miranda bleibt unschlüssig stehen. Marvel greift nach dem Haustürschlüssel und spurtet die Treppen runter. Er trifft Miranda an der Haustür. Er ist ganz außer Atem. Er lacht.
    Miranda schaut ihn an. Ernst. Ohne zu lächeln. »Hallo Marvel.«
    Er fragt sich, wie es sein kann, dass Miranda in den wenigen Wochen, in denen er sie nicht zu Gesicht bekommen hat, auf einmal so erwachsen aussieht. Hat sie eine andere Frisur?
    Miranda will an ihm vorbei. Marvel hält sie am Arm fest.
    »Schöner Tag heute, oder?«, fragt er.
    »Ja.«
    »Warst du bei einer Freundin oder so?«
    Miranda nickt. »Oder so«, sagt sie. Und lässt ihn stehen. Er schaut ihr nach, wie sie die Treppe hinaufsteigt. Auch ihr Gang hat sich verändert, irgendwie alles an ihr.
    »Hey! Miranda!«, ruft er.
    Sie bleibt stehen, die Hand auf dem Treppengeländer, ohne sich umzudrehen.
    Marvel merkt, dass sie wegwill, dass sie nichts mit ihm zu tun haben will. Das reizt ihn. Das ärgert ihn. Das passt nicht zu diesem Tag.
    Er läuft ihr nach. »Ich war heute bei meinem Vater«, sagt er. Lachend, ein bisschen so, als sei es ein Witz.

    Miranda dreht sich um. »Bei deinem Vater in eurem alten Haus?«
    Marvel nickt.
    Miranda kommt wieder einen Schritt herunter. »Und hast du seine neue Frau auch kennengelernt?«
    »Ja, und Sofia.«
    Miranda setzt sich auf die Treppe. Marvel setzt sich neben sie. Sie wirft ihre Haare zurück und für einen Augenblick hat Marvel den Duft ihres Shampoo in der Nase.
    »Und? Wie alt ist sie jetzt?«
    »Noch nicht mal drei. Ich musste ihr die Schnürsenkel binden. Und wir haben Kaufladen gespielt.«
    Miranda lacht. Er wusste gar nicht, dass sie Grübchen hat. Und dass ihre Arme ihn

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