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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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eine andere Frau …« Sie stockt plötzlich, wendet den Kopf, schaut Marvel an. »Woher weißt du das mit der Einladung?«
    »Egal. Ich will’s erst wissen. Du hast die Einladung aufgemacht und sie in den Müll geworfen, oder was?«
    Seine Mutter nickt. »Ja. Oder nein. Ich hab sie eine Weile herumliegen lassen, glaub ich.«
    »Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    Seine Mutter sieht ihn an. Ihr Blick hat etwas Flehendes. »Du kannst dich wahrscheinlich an vieles nicht erinnern, Marvin. Und manches ist womöglich ein bisschen anders, als du es in Erinnerung hast. Dein Vater und ich hatten uns …«
    Marvel hält sich die Ohren zu. Er schreit plötzlich. »Ich will es nicht wissen! Ich will nichts mehr darüber hören, wie Papa dich enttäuscht und betrogen hat!! Verstehst du? Ich musste mir drei Jahre lang anhören, was für ein fieser Typ mein Vater ist! Ich hab darunter gelitten, so einen Vater zu haben!! Es reicht!!!«
    Seine Mutter schließt die Augen, ihr Gesicht macht sich klein. So wie früher. Ihr Kinn zittert. Er weiß, dass sie gleich in Tränen ausbrechen wird.

    Und wirklich flattert ihre Stimme, als sie fragt: »Hast du mit ihm gesprochen?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Ist doch egal, oder?«
    Seine Mutter sackt immer mehr in sich zusammen. Sie nickt. »Ja, wahrscheinlich ist es egal.«
    »Und die Geschenke?«
    »Welche Geschenke?«
    »Die ich von Papa bekommen hab. Was war damit?«
    »Ich weiß es nicht. Wir haben die Sachen alle zurückgeschickt. Das musst du doch noch wissen! Du wolltest von deinem Vater nichts mehr wissen. Du wolltest keine Geschenke von ihm. Er hat dich zu sehr enttäuscht.«
    Marvin schüttelt den Kopf. Er fühlt sich wie betäubt. Er kann sich an nichts erinnern.
    »Später hab ich die Annahme der Pakete und Briefe verweigert. Du hattest schon genug Probleme. Ich wollte nicht, dass jedes Päckchen, jeder Brief dich wieder so aufwühlt. Ich dachte, das wäre am einfachsten.« Sie schaut Marvel fast flehentlich an. »Das ist alles immer ungeöffnet an deinen Vater zurückgegangen.«
    Stille. Marvel starrt an die Decke.
    »Marvin! Tut dir das jetzt auf einmal leid?«
    Marvel hat plötzlich das Gefühl, zu ersticken. Er zieht den Schlüssel aus der Hosentasche und wirft ihn auf das Bett. Verwundert nimmt seine Mutter den Schlüssel in die Hand. Schaut auf den Anhänger.
    »Was ist das?«
    »Hat mir Papa gegeben.«
    Als habe sie einen elektrischen Schock gekriegt, lässt seine Mutter den Schlüssel auf den Boden fallen. Marvel bückt sich
und hebt ihn wieder auf, steckt ihn, während seine Mutter ihn fassungslos dabei beobachtet, wieder in die Hosentasche.
    »Es ist mir egal«, sagt er, »was für ein Problem ihr beide miteinander habt. Ich möchte da nicht mehr mit reingezogen werden, Mama. Das mein ich ernst!«
     
    Caren hat Bionade eingekauft, mit Litschigeschmack. Eine ganze Batterie steht davon im Kühlschrank, extra für ihn. Weil ihm das am ersten Tag gut geschmeckt hat - auch wenn man dieses Zeug nicht mit Bines Fruchtsäften vergleichen kann, frisch aus der Presse. Aber über die spricht Marvel nicht, wenn er sein ehemaliges Zuhause besucht. Er erzählt überhaupt sehr wenig.
    Und er findet es gut, dass Caren ihn in Ruhe lässt und nicht von ihm erwartet, dass er mit Sofia spielt. Er hat es versucht, aber ihm fällt echt nichts ein, was man mit so einer Kleinen spielen kann. Er stellt sie höchstens mal auf den Roller und schiebt sie auf der Terrasse im Kreis herum. Dann juchzt sie vor Vergnügen und wirft sich ihm hinterher an den Hals und ruft: »Noch mal!«
    Marvel weiß, dass Caren dann hinter der Terrassentür steht und sie beobachtet. Er kann Caren nicht sehen, aber er weiß, dass sie da ist. Er könnte, wenn er sich Mühe gäbe, vielleicht sogar ahnen, was sie denkt. Aber die Mühe will er sich nicht machen. Im Grunde geht er dort ja nur hin, weil das Aufreißen der Schlüterstraße nicht nur einen Höllenlärm macht, der am Denken hindert, sondern weil auch der Gestank, der mit den Kanalarbeiten einhergeht, unerträglich ist. Die Abgase der riesigen Maschinen, gemischt mit dem Dreck, den sie aus den Kanälen saugen. Als wohnten sie neben einer Kläranlage.
    Marvel fährt meistens gegen vier Uhr in sein ehemaliges Zuhause, und dann bleibt er, bis sein Vater aus der Redaktion kommt. Alles andere hätte er als unhöflich empfunden. Dann
reden sie noch ein paar Takte - nachdem sein Vater jedes Mal betont hat, wie er sich freut, ihn zu sehen - über belanglose Dinge wie das

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