Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
Oft sei schon am nächsten Tag alles vergessen gewesen, zumindest für den Chef. Der habe sich wieder lammfromm verhalten, habe den geschlachteten Mitarbeiter für eine tagesaktuelle Leistung gelobt und so getan, als passe zwischen die beiden kein Blatt Papier.
Ein noch krasserer Fall: Ein ehemaliger Chefredakteur soll bis vor ein paar Jahren regelmäßig derart ausgerastet sein, dass ihm der Verlag eine Therapie verordnet habe. In Ungnade gefallene Mitarbeiter soll der Kerl mit Bürowerkzeugen wie Tackern beworfen haben. Ich habe den Kollegen beobachtet, im Alltag unter Führungskräften wirkt er unauffällig, ordnet sich allen, die in der Hackordnung über ihm stehen, schon fast lakaienhaft unter. Einfachen Mitarbeitern gegenüber verhält er sich betont chefig, kommt ihnen zuweilen arrogant bis abfällig.
Stress-Typ 2, der Infarkt-Jäger
Er tut vor allem sich selbst weh. Er frisst alles in sich rein, versucht, allem und allen gerecht zu werden, hat ständig Panik, dass ihm die Dinge über den Kopf wachsen. Ausgleich? Ist für ihn ein Fremdwort. Er malocht, was das Zeug hält, arbeitet sich im Wortsinn zu Tode. Der Infarkt-Jäger gönnt sich keine Ruhe, er steht ständig unter Strom. Mit dieser Situation hat er sich arrangiert, sein Körper hat sich an den hohen Taktschlag gewöhnt. Oft kommt der Kollaps deshalb in einer Phase der Entspannung. Die kennt der Gestresste gar nicht, die überfordert ihn. Beim Versuch, in die Balance zu kommen, knallen alle Sicherungen durch.
Stress-Typ 3, der Zyniker
Seine Ironie, sein Sarkasmus und Zynismus stiften oft Verwirrung, stoßen andere vor den Kopf. Ist dem Gegenüber nicht klar, ob ein Spruch todernst gemeint oder eben nur eine spitze Bemerkung ohne Hintergedanken ist, traut er dem Absender bald nicht mehr über den Weg. Der Zyniker bekommt mit seiner indirekten Art oft Probleme. Dennoch: Die Wahrheit mit einem Augenzwinkern auszusprechen, hilft manchem Gestressten, sich ein wenig zu entlasten. Er kann Druck ablassen, wenn er zotig über seinen Vorgesetzten herzieht, den geschossenen Bock eines Mitarbeiters thematisiert oder den anstrengenden Kollegen pointiert imitiert. Der Zyniker zeigt seinen Stress selten offen. Ist seine Sprüche-Frequenz hoch, ist es auch sein Belastungspegel.
Stress-Typ 4, der Zappelphilipp
Er ist dem Infarkt-Jäger nicht unähnlich. Der Zappelphilipp ist in ständiger Unruhe, immer aufgedreht und in Bewegung. Sich mal für eine Weile ruhig mit Kollegen zusammenzusetzen, ein Thema ausgiebig zu diskutieren und eine Strategie zur Umsetzung zu erarbeiten, ist für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Er muss immer in Action sein, in Konferenzen hibbelt er unentwegt auf seinem Stuhl hin und her. Seine Finger brauchen immer etwas zum Spielen, am liebsten einen Kugelschreiber, dessen Mine er unablässig raus- und wieder reindrückt; manchmal zerlegt er auch den ganzen Stift in seine Einzelteile und versucht, ihn dann ungeduldig wieder zusammenzubauen. Meist gelingen ihm derart feinmotorische Aufgaben nicht. Das stört den Zappelphilipp nicht besonders (der Choleriker würde hier schon die Nerven verlieren). Er sucht sich einfach das nächste Schreibgerät, ein Blatt Papier, das er endlos faltet, rollt, in Stücke reißt, oder sonst irgendetwas in seiner Reichweite. Diesem Stress-Typ kann es nie schnell genug gehen. Er möchte unbedingt weiter, wirkt immer getrieben und bestimmt von seiner inneren Unruhe. Im Gegensatz zum Infarkt-Jäger ist der Zappelphilipp weniger gesundheitsgefährdet. Er lässt den Druck so gut es geht weichen, indem er sich körperlich abreagiert.
Stress-Typ 5, der Dramatiker
Er macht sich das Leben besonders schwer. Ist von sich selbst wenig bis gar nicht überzeugt, sieht sich deshalb ständig dem Untergang geweiht. Macht aus einer Mücke einen Elefanten. Verläuft alles in ruhigen Bahnen, herrscht für den Dramatiker Land unter. Ohne ersichtlichen Grund löst er fortwährend Katastrophenalarm aus und macht damit alle verrückt. Jede Entscheidung scheint für ihn eine unüberwindbare Hürde zu sein. Er ist darum in einer Tour dabei, sich Rat einzuholen. Schon bei der kleinsten Unsicherheit, also eigentlich immer, befragt er alle, vom Praktikanten bis zu seinem Stellvertreter, nach ihrer Meinung. Das hilft ihm in den meisten Fällen wenig bis gar nichts, da ihn die oft unterschiedlichen Einschätzungen nur noch mehr verunsichern. Am Ende wählt er fast immer den richtigen Weg. Er macht seinen Job gut, hat Erfolg. Das hindert ihn
Weitere Kostenlose Bücher