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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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führen. Wir müssen kurzfristig umdisponieren.
    «Ey, wie das nervt. Sind wir ein Lazarett hier?», frage ich.
    «Hm, manchmal wirkt es so», antwortet meine Sekretärin.
    Einen Tag ohne Krankmeldung gibt es fast nicht. Oft ärgere ich mich über die Ausfälle. Es gibt Mitarbeiter, denen glaube ich nicht, dass sie krank sind. Die haben einfach keinen Bock, aber ich kann es ihnen nicht beweisen. Das wissen sie und behaupten deshalb Gott weiß was.
    Verärgert weiter. Ich gucke wieder in meine Mails, beantworte eilige, schreibe eilige an Mitarbeiter, den General Manager, an einen Kollegen vom Fernsehen. Ich verabrede mich für nächste Woche mit einem Senator zum Lunch, vereinbare einen Besprechungstermin mit einem Veranstalter und bitte meine Sekretärin, den Geschäftsführer, der es dem Herausgeber so angetan hat, zu einem Redaktionsbesuch einzuladen. Ich gucke wieder auf die Online-News, wieder in die Agenturmeldungen. Ein Blick auf die Zahlen im Monatsreport des Redaktionsetats. Alles prima, acht Prozent unter Kalkulation. Ich formuliere Fragen für ein Bürgermeister-Interview, das ich nachher mit dem Leiter unserer Rathausredaktion führen werde.
    Zehn vor zehn kommen meine Führungskräfte und präsentieren mir die Themen aus ihren Ressorts. Politik, Wirtschaft, Polizei, Show, Gericht und Reportage. Der, der am wenigsten zu verkaufen hat, redet am längsten. Immer das Gleiche. Glaubt der, ich merke das nicht? Die Zeit rennt, fünf Minuten noch bis zur großen Konferenz.
    Ich sage: «Bitte schneller!»
    Wir gehen in den Konferenzraum. Einer scherzt, drei lachen. Ich würde gern mitlachen. Es geht nicht. Meine Mundwinkel fühlen sich an wie taub. Dreizehnter Stock, Blick über die City in Richtung Alster. Noch zwanzig Mitarbeiter mehr in der Runde als vorher. Ich bestimme einen, der etwas zur aktuellen Ausgabe sagen soll. Er hühnert rum, er hat die Zeitung offensichtlich nicht gelesen – außer seinen eigenen Artikel. Na, bravo.
    Ich sage: «Bitte morgens Zeitung lesen – die eigene, die anderen!»
    Ich umreiße kurz die wichtigsten Themen, ich frage nach weiteren Vorschlägen. Eine Volontärin würde gern was übers Wetter machen.
    «Schon vier Tage Regen, und bis zum Wochenende soll’s nicht besser werden», sagt sie.
    «Aha.»
    «Findste doof?»
    «Geht so. Wie geht denn deine Geschichte?»
    «Weiß auch nicht. Tipps, was man bei Regen machen kann?»
    «Hm, haut mich nicht um. Hat sonst noch jemand was?»
    Der Polizeireporter: «In Wandsbek haben sie eine Haschplantage entdeckt.»
    «Das steht auf dem Themenplan.» Den haben alle vor sich liegen.
    «Ach so.»
    «Fällt jemandem was ein, das nicht auf dem Themenplan steht?»
    Schweigen.
    Ich sage: «Bitte morgen mehr Vorschläge!»
    Zehn Minuten später ist Schalte. Zwanzig Regionalredaktionen klinken sich per Telefon in die Berliner Bundeskonferenz ein. Ein deutscher TV-Mensch ist zur Blattkritik gekommen. Der Herausgeber fragt ihn nach seiner Meinung zur Europapolitik der Kanzlerin. Der TV-Mensch schwurbelt, merkt es, versucht, sich mit der Entschuldigung zu retten, das sei nicht sein Metier. Die beste Blattkritik, die ich erlebt habe, hat vor ein paar Wochen Dieter Bohlen abgeliefert. Er war gut vorbereitet, kritisch, hat gute Vorschläge gemacht. Er hat sich keinen Deut angebiedert. Hut ab. Viele fürchten offenbar, sie bekämen was auf die Glocke, sollten sie BILD zu hart anfassen. Sie sagen nicht, was sie denken, und langweilen alle mit ihrer bemühten Freundlichkeit.
    Ist das überstanden, schlägt jeder Redaktionsleiter eine Schlagzeile aus dem Themenplan vor, der an alle verschickt wurde. Der Herausgeber gibt einen Überblick über die Schwerpunkte, und das war’s.
    Weiter geht’s mit der ersten Optik. Sichtung der Fotos, die schon vorliegen. Drei Unfälle, die Haschwohnung, ein Lokalpolitiker, der seinen Parteifreund verklagt, und ein paar riesige Pfützen an der Alster für die Wettergeschichte, die mich nicht überzeugt. Kein Foto, das heraussticht. Der Tag verlangt Nerven.
    Nächste Konferenz. Mit den Ressortleitern mische ich den Lokalteil. Wir legen fest, welche Themen Seitenaufmacher werden, lästern über die Kolumne eines ehemaligen Verlagsmanagers, der nicht loslassen kann, formulieren Überschriften. Einer macht einen trockenen Witz. Das erste Mal, dass ich heute lache.
    Schon halb eins!
    Pulsgalopp.
    Ich gehe in mein Büro, sichte Post, sage drei Einladungen ab, eine zu, gucke auf das Foto einer Praktikumsbewerberin, notiere «ok!»

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