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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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des Hamburger Senats ist im Vollrausch mal darüber hergezogen, wie ungerecht er sich vom Bürgermeister behandelt fühle, und hat zum Beweis ausgiebig aus vertraulichen Treffen der beiden zitiert.
    In meiner Zeit als Polizeireporter hatte ich Menschen unter Alkoholeinfluss in den absurdesten Zuständen und Situationen erlebt. Sie richteten Leid und Elend an, zerstörten Beziehungen, beendeten Karrieren. Friedliche Menschen wurden zu Brutalos. Ich habe genauso erlebt, wie Alkohol Liebe und Leidenschaft beflügelt, Beziehungen ermöglicht, Karrieren beschleunigt und harte Burschen zu sanften Lämmern macht.
    Alkohol ist ein genialer Stoff, der eine tiefschwarze Seite hat.
    Es gibt inzwischen zu viele Nächte, in denen ich mich mit Alkohol lockermache. Das warme Gefühl im Körper, das wohlige Kribbeln im Kopf, diese sanfte Trance verlängern den Feierabend aufs angenehmste. Ruck, zuck rücken die Gedanken, die mich zwei Stunden zuvor noch halb verrückt machten, in unendliche Ferne. Der kommende Morgen wirkt weit weg. Die Erinnerung an die Aufgaben des nächsten Tages beunruhigen mich nicht mehr. Ganz cool würde ich mich ihnen stellen und sie managen. Ich bin mir da auf einmal ganz sicher.
    Mit leichtem Glimmer in der Birne kommen mir die besten Ideen. Viele Projekte, die ich angeschoben habe, sind in rauschenden Nächten entstanden. Beim Trinken habe ich Einfälle am Fließband. Leider vergesse ich zu oft, sie mir zu notieren. Am nächsten Morgen sind sie verflogen.
    Nach durchzechten Nächten leide ich fürchterlich. Es passiert mir immer noch wie früher in Reportertagen, dass ich im Hellen aus der Kneipe stolpere. Kurz ein, zwei Stunden unruhig dösen, duschen und ab. Mit hämmernden Kopfschmerzen, bleierner Müdigkeit, rebellierendem Magen, mit einem zur Frühstückszeit einsetzenden Kater und einer Lustlosigkeit, die alles gibt, mir die Arbeit so schikanös wie möglich zu machen. Ich bezahle körperlich Unsummen für die Gelage. Kaum nachvollziehbar, was ich investiere für ein paar Stunden entspannte Laune. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist desaströs, bei klarem Verstand würde ich den Deal niemals eingehen.
    Mindestens fünfzigmal habe ich mir geschworen, mich nicht mehr so zulaufen zu lassen, zumindest nicht unter der Woche. Der Schwur hält selten länger als ein paar Tage. Einen Kollegen, der von meinen Exzessen weiß, selbst aber nur selten dabei ist, faszinieren meine Rehabilitierungskräfte.
    «Ich beneide dich um deine Gene», hat er mal gesagt.
    Oft wollte er nicht glauben, was ich ihm aus der Nacht erzählte.
    «Hättest du nichts gesagt, ich hätte dir wieder mal nichts angemerkt.»
    Ich bin Meister darin, meinen Restrausch zu kaschieren. Darauf bin ich stolz, fühle mich als harter Kerl. Manche Morgenkonferenz habe ich in Zuständen geleitet, die andere ihr Leben lang an keiner Theke der Welt erreichen. Für die zwei, drei wichtigen Planungsstunden vormittags kann ich mich zusammenreißen.
    In allen Redaktionen, in denen ich war, ist es verpönt, während der Arbeit zu trinken. Da fällt es schon auf, wenn man sich nach zwölf Stunden Maloche im Spätdienst mal ein Bier öffnet. Früher war das anders, früher wurde beim Zeitungmachen gesoffen. Hätte ich mitgebechert? Was ich außerhalb der Redaktionsräume in mich reinschütte, reicht schon dicke. Mehr wäre zu viel. Noch regelmäßiger ein bisschen mehr, und ich wäre Säufer. Das darf nicht passieren, auf keinen Fall will ich die Kontrolle über meinen Alkoholkonsum verlieren. Trinker erschrecken mich. Ich habe keine Sorge, dass ich selbst einer werden könnte. Aber ich sollte auf der Hut bleiben.
    Bei Weihnachtsfeiern erzählen die alten Hasen gern von noch älteren Hasen, die schon nachmittags blau waren. Das habe zwar kaum einer gemerkt, aber jeder habe es gewusst. In der Kantine habe es Bier gegeben, im Produktionsraum meist eine Kiste Wein gestanden, und die Harten hätten eine Flasche Schnaps in der Schublade gebunkert. Einer meiner Stellvertreter hat mir mal erzählt, er habe als Praktikant für den damaligen Redaktionsleiter der Welt Whiskey holen müssen. Mit zwanzig Mark sei er loskommandiert worden, mit einer Buddel in der Plastiktüte zurückgekommen. Im Endspurt der Produktion hätten sich die Blattmacher gern mal einen genehmigt.
    In den härtesten Momenten des Arbeitstags würde auch ich mir manchmal gern einen genehmigen. Ein schnelles Gläschen, ein bisschen weniger Druckgefühl im Kopf, ein bisschen runter mit dem Puls, ein

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