Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
auf ihre Unterlagen und leite sie an die Personalabteilung weiter. Das Interview mit dem Bürgermeister! Noch zwanzig Minuten. Wir eilen rüber ins Rathaus.
«Hallo, na, wie geht’s?»
«Bestens. Und selbst?»
«Danke, alles gut. In der Koalition läuft’s abgesehen von Kleinigkeiten ganz anständig.»
«Ist das wirklich so? Bei uns kommt viel Murren an.»
«Ach, ein paar, die murren, gibt’s doch immer. Sicher auch bei Ihnen in der Redaktion. Was macht die Auflage?»
«Ziemlich stabil, im Vergleich zu anderen kaum Minus.»
«Na prima.»
«Wir sollten jetzt anfangen, hm?»
«Ja, gern!»
Ich mag den Bürgermeister.
Schnell zurück in die Redaktion. Eine Viertelstunde noch bis zum Jour fixe mit den Verlagsabteilungen. Zu spät für die Kantine. Ich hole aus dem Bistro zwei Wiener, vier Portionen Senf, ein Päckchen Erdnüsse, ein Snickers. Schlingschling am Schreibtisch. Nebenbei: Mails, Agenturen, Postmappe.
SMS von meinem Kumpel Tim: Wolln wir uns sehen? Kann ab neun. Ich sage zu. Bier mit Tim. Mein Tagesziel.
Sieben Minuten über die Zeit. Ab in die Verlagsrunde. Die Verkaufszahlen sind einigermaßen stabil, der Abstand zu den anderen ist größer geworden. Der Vertriebschef sagt: Das kann jederzeit kippen. Solange es nicht kippt, freut er sich. Ich auch. Jeder glaubt, es sei sein Erfolg. Sind die Zahlen schlecht, ist der andere schuld. Der Anzeigenleiter hat weniger gute Nachrichten: Minus im Vergleich zum Vorjahr. Stirnrunzeln, Sprüche, und alle denken es: Wir jammern auf hohem Niveau, BILD ist noch immer megaerfolgreich.
Zuckerbrot und Peitsche, so ist das immer in der Verlagskonferenz. Jeder schönfärbt, so gut er kann, und frotzelt über die Schönfärberei der anderen. Manchmal ist das ganz amüsant, oft aber bearbeite ich meine Mails auf dem iPhone und frage mich, ob den anderen die Zeit genauso wegläuft wie mir.
Schon fast halb fünf!
Hitzewelle.
Laufschritt zurück in den Produktionsraum. Im Magen brodeln WurstSenfNussSchoko. Drei Fotografen sind noch nicht wieder da, mindestens einer zu viel für die Uhrzeit. «Jetzt aber mal flotti!»
Seitenkontrolle im Layout.
Eine Überschrift texte ich neu.
Ich tausche zwei Fotos.
Ein Artikel muss zur Überarbeitung an den Autor zurück.
Freigabe des Konzepts für eine neue Serie.
Eine Redakteurin kommt mit einem Antrag auf Fortbildung.
Alle zehn Minuten: Mails.
Alle dreißig Minuten: Online-News.
Alle fünfundvierzig Minuten: Agentur-Meldungen.
Das Telefon klingelt pausenlos.
Schon wieder.
Meine Sekretärin.
«Jetzt nicht.»
«Es ist der Chef.»
«Ah.»
Klickklack.
«Hallo, Kai.»
«Heute Abend ist die Gala im Jacob’s . Machst du groß, ja?!»
«Halbe Seite ist eingeplant.»
«Größer, ja?!»
«Heißt genau was?»
«Größer. Okay? Danke.»
Klare unklare Anweisung, das ist seine Spezialität. Meine Verantwortung nimmt er mir nicht ab.
Hitzewelle.
Ich sage: «Leute, die Gala doppelt so groß!»
Das wird ein langer Abend. Der Chef ist selbst bei der Gala, vielleicht wird er sich von da noch mal melden. In jedem Fall wird er morgen unseren Bericht sezieren. Silbe für Silbe, Fotopixel für Fotopixel. Das muss ich auch machen, bevor die Seite nachher in den Druck geht.
Im Bauch brodelt’s.
Meine Verabredung mit Tim kann ich knicken. Ich schreibe ihm eine SMS: Geht heut nicht, wird wieder spät hier. Sorry. So ist das immer, du darfst dir in diesem Job einfach nichts vornehmen, schon gar nichts Privates. Sowieso mache ich das nur maximal einmal in der Woche – und doch kommt im letzten Moment immer etwas dazwischen. Murphy’s Law.
Blick ins Layout.
Ich sage: «Lasst mit den anderen Seiten fertig werden, volle Konzentration auf die Gala!»
Die Ressortleiter redigieren Artikel ihrer Redakteure, wir formulieren die Schlagzeile für den Aufmacher auf Seite drei, unsere erste Lokalseite. Die besten Zeilen kannst du singen, die allerbesten sogar skandieren. «Wir sind Papst!» – «Rudi haudi Saudi!» – «Litti, Wutti, Klinsi – Bumm, bumm, bumm!»
Dann wieder Mails.
Dann wieder Online-News.
Dann wieder Agenturen.
Ab halb sechs lese ich die redigierten Artikel, redigiere den Aufmacher ein zweites Mal.
Um sechs liegt endlich die vorletzte Fotoproduktion vor. Das Ergebnis ist mäßig, ich hatte mir das anders vorgestellt. Der Fotochef sieht, dass ich unzufrieden bin. Er ist es auch. Er will mit dem Fotografen sprechen.
Ich sage: «Okay, egal jetzt.»
Die Gala!
Kurz nach sieben nehme ich mit den
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