Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
und ich läge schlummernd auf dem Zweisitzer, der Kopf auf der einen Armlehne, die Beine baumelnd über der anderen. Und um mich herum keulen alle, erwecken zumindest den Eindruck. Das wäre nicht gut, das würde rumgehen und ich ziemlich blöd dastehen. «Haste gehört? Der Dings wollte den Chef gestern was fragen – der hat in seinem Büro gelegen und gepennt!» Natürlich könnte ich meiner Sekretärin sagen: «Ich hau mich mal eine Runde aufs Ohr, ich bin fürchterlich geschafft, bitte nicht stören!» Früher oder später ginge durch einen doofen Zufall auch das rum. Das will ich nicht. Ich will steuern, was über mich rumgeht. Ich glaube tatsächlich noch immer, ich könne das.
Ich sitze am Schreibtisch, die Couch will mich zu sich ziehen. Sie saugt, sie zerrt. Ich halte stand. Ich trainiere, mit offenen Augen am Rechner zu schlafen. Ich starre auf die Buchstaben, alles verschwimmt, ich tagträume, ich fahre alles runter, ich bin ganz weit weg. Dann reiße ich mich zusammen. Das kann ich gut, das ist meine Spezialität. Ich gehe in den Produktionsraum, setze mich auf meinen Stuhl und strenge mich fürchterlich an, nicht gleich wieder einzudösen. Manchmal fallen mir für ein, zwei Sekunden die Augen zu. Ich schrecke hoch, hoffe, dass mich keiner beobachtet. Wahrscheinlich passiert das ständig, alle wissen es, keiner sagt was. Ganz schön durch, unser Chef!
Abends werde ich wach. Zu keiner anderen Tageszeit fühle ich mich so fit. Habe ich keinen Termin, sitze ich manchmal bis zehn, halb elf im Produktionsraum und bearbeite Projekte. Das kann ich um diese Zeit am besten. Das Blatt ist fertig, der Spätdienst hat übernommen, ich bin einigermaßen entspannt. Statt immer weiterzumachen, immer neue Projekte zu beackern, die keiner von mir verlangt, die nur ich selbst von mir einfordere, könnte ich endlich mal wieder Freunde treffen. Oder einen Abend allein zu Hause verbringen. Ein Buch lesen, eine DVD gucken. Mit dem Laufen anfangen. Früh ins Bett gehen. Ich mache es nicht, ich bin süchtig nach Arbeit. Elf Stunden reichen nicht, erst nach vierzehn habe ich das Gefühl, genug getan zu haben. Dann fahre ich nach Hause, kaufe mir auf dem Weg was zu essen oder treffe einen Kollegen oder Freund oder Kollegenfreund in der Kneipe.
«Okay, aber nur auf ’n Bier, ich bin total kaputt!»
«Ja, ja.»
Eine Stunde und drei Pils später bin ich derjenige, der kein Ende findet. Ich bin putzmunter, gut gelaunt, will das Gefühl konservieren. Wir bleiben sitzen, trinken, reden – erst in Zusammenhängen, dann Quatsch. Um zwei Uhr siegt die Einsicht: fünf Stunden noch bis morgen, fünf Stunden bis Alarm-Alarm.
Nicht dran denken, schlafen!
Ins Bett zu gehen, ist das Highlight. Manchmal sehne ich mich dreißigmal am Tag nach diesem Moment, in dem es geschafft und vorbei ist. Dann kommt die Dunkelheit. Nicht die fiese, die mich tagsüber so oft befällt, jetzt kommt die gute, die wohlige. Frieden. Beim Einschlafen wünsche ich mir, dass dieses Gefühl für immer bleibt. Warum gibt’s für meinen Job keine Pausentaste wie auf der Fernbedienung vom DVD-Player? Ich will nicht gleich wieder aufwachen. Gerädert, tonnenschwer, kraftlos, schattig. Tatsächlich fühlt sich der Frieden ganz oft nicht länger an als ein Wimpernschlag.
Die Müdigkeit weicht einfach nicht von mir. Habe ich frei, legt sie mich in Fesseln. Immer wieder nehme ich mir vor, etwas zu unternehmen. Ich möchte was erleben, mit meinem Sohn, will mal wieder Freunde treffen, die ich viel zu selten sehe. Etwas zu unternehmen, erfüllt, lenkt ab, bringt vielleicht ein bisschen Leichtigkeit zurück. Ich würde so gern schöne Gedanken an das Erlebte mit in den Arbeitsalltag nehmen und davon zehren. Fast immer scheitere ich. Der Geist ist willig, der Körper schwach. Selten gewinne ich den erbarmungslosen Kampf gegen die lähmende Müdigkeit. Und: Ich fürchte, dass die wenige freie Zeit noch viel schneller dahinrast, wenn ich mir etwas vornehme. Die Zeit soll nicht vorbeigehen, sie soll stehenbleiben.
Manchmal bin ich so müde, dass ich glaube, an Schlafmangel zu sterben. Ich denke, dass mein Kreislauf irgendwann seinen Geist aufgibt, weil er keine Gelegenheit mehr hat, sich richtig zu erholen. Vielleicht schaltet sich mein Gehirn einfach ab, ich falle um und schlafe für immer ein. Ein Arzt obduziert meine Leiche und stellt die Todesursache fest: Schlafentzug! In diktatorischen Regimen ist das eine der übelsten Foltermethoden. Warum sollte man davon nicht
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