Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
geschlafen wie in El Roque.
Fuerteventura ist vor mehr als zwanzig Millionen Jahren aus Vulkangestein entstanden. Die Insel ist mit ihrem erodierten beige-roten Sandwüsten an Kargheit kaum zu überbieten. Ich liebe diese Einöde, diese sonnige Tristesse der Natur. Zu Hause in Hamburg ist manchmal von allem zu viel. Hier ist nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, auf dieser Insel jemals Stress wie zu Hause zu erleben. Vielleicht täusche ich mich, ich glaube aber nicht. Ich komme hierher, um zu entspannen. Ich habe keine Termine, keine Verpflichtungen, von der Redaktion bin ich zu weit weg, um mal eben kurz einzurücken, wie es mir an freien Tagen zu Hause öfter passiert. Dreimal am Tag checke ich meine Mails, mehr als die Hälfte davon kann warten. Bin ich im Urlaub, stelle ich fast nie die automatische Antwortfunktion ein, die den Absender über meine Abwesenheit informiert. Wer es wissen soll, weiß es ohnehin. Wer es nicht weiß und mich kontaktiert, bekommt von mir eine Mail mit der Bitte um Geduld, oder ich antworte ihm so, als säße ich im Büro. Nur so stelle ich sicher, dass mir nichts entgeht. Deshalb lasse ich mir auch die Themenpläne aus der Redaktion weiterhin schicken. Es könnte ein Thema dabei sein, zu dem ich wichtige Hinweise geben kann – das zu versäumen, würde mich im Nachhinein maßlos ärgern. Anrufe erreichen mich im Urlaub selten. Ein, zwei am Tag – nichts gegen den Dauerbeschuss im Job.
Mein Freund Uwe, der auf St. Pauli die Bar Christiansen’s betreibt, hat mir von einem früheren Mitarbeiter erzählt, der vor einem Jahr nach Fuerteventura ausgewandert ist. Tom habe dort ein kleines Surfhotel mit Cocktailbar aufmachen wollen. Der Ort heißt El Cotillo, das Nachbardorf meines Domizils. Es dauert nicht lange, bis wir Toms Herberge gefunden haben. Seine Geschichte begeistert mich, noch bevor wir uns einander vorgestellt haben und ich mit meiner Begleiterin beim ersten Cuba libre vor ihm am Tresen im Souterrain sitze. Tom hat früher im Verkauf für Hamburgs größtes Privatradio gearbeitet. Zum Ausgleich, wie er sagt, habe er nach zehn Stunden Kunden-Akquise in Uwes Bar Drinks gemixt. Zwei- bis dreimal die Woche habe er bis spätnachts bedient und sei oft erst nach drei ins Bett gekommen.
«Das war körperlich Stress pur, aber ich brauchte das», sagt Tom.
Der Stress beim Radio hätte ihn verrückt gemacht, deshalb habe er sich einfach noch einen zweiten, völlig anderen Job gesucht. Stress plus Stress gleich Ausgleich? Klingt nach einer seltsamen Formel auf der Suche nach Balance. Toms Rechnung ist auf Dauer nicht aufgegangen.
«Irgendwann war ich nur noch alle, habe alles um mich rum gehasst», erzählt er uns.
Tagsüber hätten ihn seine Chefs genervt, weil sie ihn nicht auf die unkonventionelle Weise arbeiten lassen wollten, mit der er erfolgreich gewesen sei, und nachts hätten die Gäste nicht früh genug gehen können.
«Manchmal war ich drauf und dran, so ein paar Verträumte rauszuwerfen – ich wollte einfach nur Feierabend haben.»
Eine Situation, die ihn über kurz oder lang in den Burn-out getrieben hätte.
«Heute quatscht ja jeder davon, aber bei mir war es wirklich bald so weit.»
Tom hat die Reißleine gezogen. Während eines Tauchurlaubs auf Fuerteventura entdeckte er ein zur Verpachtung stehendes kleines Hotel, in das er sich verguckte. Mit seiner Freundin beschloss er den Schnitt: alle Zelte in Deutschland abbrechen, Job kündigen, Wohnung aufgeben, Schiffscontainer packen und für mindestens fünf Jahre ab auf die Sonneninsel. So lange läuft der Vertrag, den er dem spanischen Eigentümer unterschrieb. Dass dabei nicht alles mit rechten Dingen zuging, sollte er erst Monate später leidvoll feststellen.
«Am Anfang war das ein wahr gewordener Traum. Ich hab einen Tauchlehrerschein gemacht, ein paar Surfbretter und Tauchanzüge gekauft, mein Barequipment zusammengekramt und losgelegt», sagt er. Günstiges Sporthotel mit Tauchkursen, Yoga und angeschlossener Surfschule an einem der beliebtesten Surfspots der Insel. Das sollte klappen.
Es klappte nicht, zumindest vorerst nicht.
«Eigentlich wollte meine Freundin nach dem ersten halben Jahr nachkommen, wenn ich hier alles eingeführt hatte. Aber als die ersten Macken am Haus auftauchten und die Gäste ausblieben, ist sie abgesprungen.»
In Toms Hütte beginnt ein Kampf ums Überleben. Mit dem Vermieter gerät er in Dauerclinch, er drückt die Miete, versucht, das nach lässiger spanischer Bauweise
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