Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
abgesprochen. In kurzer Zeit werfen Bundespräsident Horst Köhler, der hessische Ministerpräsident Roland Koch und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust das Handtuch. Medien zetteln eine Diskussion über den angeblichen Trend an, sich aus Amt und Verantwortung zu stehlen. Die, die gehen, werden wie Fahnenflüchtige behandelt. Einige der Journalisten, die das schreiben, sind dieselben, die nicht müde geworden waren, die drei Politiker für ihre schwächelnden Leistungen zu kritisieren. Sie moralisieren und appellieren an Tugenden, sich seinen Aufgaben zu stellen und nicht vor ihnen davonzulaufen. Wird Politikern sonst gern vorgeworfen, sie würden an ihren Sesseln kleben, ist es mit einem Mal umgekehrt. Dabei war Köhler immerhin sechs Jahre im Amt, Koch elf und von Beust fast neun.
Ich kann die Politiker verstehen. Insgeheim beneide ich sie für ihre Konsequenz. Waren ihre Beweggründe sicherlich sehr verschieden, so einte sie doch der Drang, die Reißleine zu ziehen, ihre berufliche Situation radikal zu verändern und künftig ein anderes Leben zu führen. Dieser Drang wächst auch in mir.
Ich bin schockiert über den harten und oft selbstgerechten Standpunkt vieler Kollegen. Muss für sie ein Mensch in Verantwortung funktionieren wie eine Maschine? Ein Apparat ohne Bedürfnisse, sich ändernde Meinungen und Einstellungen? Beim Lesen einiger Kommentare bekomme ich diesen Eindruck. Vielleicht gehen die Kritiker auch von sich selbst aus. Aber kann jemand ohne Restzweifel ausschließen, in einer persönlichen Krisensituation einen unkonventionellen Schritt zu gehen? Wohl kaum. Also sollte sich keiner anmaßen, über andere den Stab zu brechen, die aus einem für sie wichtigen Grund ihr Leben umstellen wollen. Solche Bedürfnisse richten sich nicht nach Wahlperioden und öffentlicher Meinung.
Was würde über mich gesprochen, wenn ich meinen Job hinschmeiße?
Ich befürchte, viele würden es nicht verstehen. Unsere Gesellschaft ist auf Leistung ausgerichtet. Funktionieren, Vorankommen, Karriere machen, immer weiter, hopphopp. Mich stört die Vorstellung, ich könnte nicht verstanden werden mit einer solchen Entscheidung. Hoffentlich ist mir das irgendwann egal.
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Love, Sex & Affairs
Mai 2010
Ich bin abhängig von der Droge Stress und habe in der Sucht verlernt zu lieben. Mein Beziehungsverhalten steckt in einer tiefen Krise. Der Stress hat mich zum Liebeslegastheniker gemacht. Ich bin nicht mehr in der Lage, mich zu verknallen. Ab und zu begegne ich einer Frau, die mich begeistert. Ich fühle mich von ihr angezogen, finde sie attraktiv und sexy. Manchmal kommen wir uns näher, manchmal versuchen wir es miteinander. Es geht mal ein paar Tage, mal ein paar Wochen gut mit uns. Es waren immer tolle Frauen, starke Charaktere, faszinierende Persönlichkeiten. Wir haben uns prima verstanden, hatten viel zu reden, gemeinsame Interessen, ähnliche Ansichten, kompatible Vorlieben. Beide hatten das Bedürfnis nach Nähe, da gab’s viel Miteinander. Es rauschte oft stark los, erlahmte aber schnell und erlosch. Der Grund war immer: ich. Mein Herz galoppierte vom Fleck weg davon, blieb nach kurzer Zeit stehen und wollte nicht weiter. Wie ein bockiger Gaul. Also bin ich in Wahrheit solo, seitdem mich meine Freundin, mit der ich nach der Trennung von meiner Frau zusammengekommen war, verlassen hat. Das ist jetzt fünfunddreißig Monate her.
Ich habe den Frauen, mit denen ich’s versucht habe, weh getan. Sie waren vor den Kopf gestoßen. Erst packte sie meine Euphoriewelle, kurz darauf umspülte sie nur noch ein laues Rinnsal. Das hat keine verstanden. Wie auch? Ich habe selbst nicht kapiert, was mit mir los war. Los war und los ist, denn geändert hat sich bis heute nichts.
Ich habe ein großes Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung, sehne mich nach Vertrauen und Vertrautheit, einer Homebase. Zweisamkeit. Zärtlichkeit. Körperlichkeit. Alles Mangelware in meinem Leben. Ich suche eine feste Beziehung. Würde ich fündig, ich könnte sie wieder nicht halten. Ich müsste Energie investieren, Zeit, müsste mich um die Partnerschaft kümmern. Das schreckt mich ab. Bloß kein Aufwand, kein Stress. Nicht hier auch noch!
Ich hoffe auf ein Wunder. Eine tolle Frau kommt daher, wir verlieben uns ineinander, verstehen uns blind, haben phantastischen Sex, bauen uns ein Nest – und alles passiert wie von selbst. Es kostet mich keine Anstrengung, keine Abstimmung mit meinem Job-Leben. Da kann ich weiter
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