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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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stellen eine Taskforce zusammen. Fünf Topleute, die heute nichts anderes machen werden, als alle Details und Fotos von der Hochzeit zu beschaffen. Im Halbstundentakt gibt es hektische Telefonate mit der Bundesredaktion in Berlin. Die ersten zehn laufen in etwa so:
    «Habt ihr schon was?»
    «Wir sind dran.»
    «Wann?»
    «Wir melden uns.»
    «Wann?»
    «Sobald wir einen Schritt weiter sind.»
    «Bitte sagt sofort Bescheid.»
    «Ach nee?! Natürlich sagen wir Bescheid.»
    Dann eine Spur.
    Wir sagen Bescheid.
    Am Ende haben wir das minuziöse Protokoll der Redford-Hochzeit, wir haben den Trauspruch, die Gästeliste, die Menükarte, die Nummer der Suite, und es gibt exklusive Fotos. Mehr geht nicht.
    Am Abend ist die ganz große Aufregung weg. Die ganz schlechte Laune auch. Mein Team hat phantastisch gearbeitet. Ich würde mich gern drüber freuen. Der Morgen war zu schlimm dafür.

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    Feuerangst
    August 2009
    Rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 verübten Autonome in Hamburg und Berlin Brandanschläge auf Autos. Per Bekennerschreiben gaben sie dafür politische Motive vor. Die Fahrzeuge gehörten Energiekonzernen, Politikern, Managern. Später kamen die Trittbrettfahrer, und es wurden willkürlich Autos angezündet. Eines Nachts ging der Privatwagen meines Chefs, der damals noch nicht mein Chef war, in Flammen auf – samt Kindersitzen.
    Seit in den vergangenen Wochen immer wieder Autos in Hamburg brennen, habe ich spätabends ein ungutes Gefühl, wenn ich meinen Dienstwagen an der Straße vor der Haustür abstelle. Ich achte neuerdings darauf, nie persönliche Dinge im Auto zu lassen, Dinge, die mir wichtig sind.
    Oben in meiner Wohnung stelle ich mir vor, wie ich mitten in der Nacht von Martinshörnern und grellblau zuckenden Lichtern geweckt werde: Ich gucke aus dem Fenster nach unten und sehe die Straße von Feuer erhellt. Dort, wo ich mein Auto abgestellt habe, sehe ich die Flammen lodern. Fenster bersten, es stinkt nach verschmortem Plastik und Gummi. Feuerwehrleute versuchen, den Brand mit Löschschaum zu ersticken. Da klingelt es an der Tür. Zwei Polizisten stehen draußen. «Auf Ihr Fahrzeug wurde ein Brandanschlag verübt. Kommen Sie bitte.»
    Immer wieder stelle ich mir das vor. Nähern sich Sirenen bis in die Nähe meiner Wohnung, gehe ich zum Fenster und gucke auf die Straße. Die Angst vor einem Anschlag quält mich. Ein Auto ist zwar bloß ein lebloser Haufen Blech. Es ist zudem mein Dienstwagen, nicht mein geliebter alter Saab, den ich eingemottet habe. Ich denke aber auch gar nicht an den möglichen materiellen Verlust. Wegen eines Jobs, für den ich mich aufopfere, der mein Leben dominiert und somit ein wesentlicher Teil von mir ist, mit so etwas überhaupt rechnen zu müssen – das ist es, was mir zu schaffen macht.
    Schon seit Monaten suche ich einen Garagenplatz in der Nachbarschaft. Einen zu finden, ist in meinem Viertel ein Glücksfall.

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    Fuerteventura
    November 2009
    Fuerteventura, mein Refugium zum Runterkommen. Die Insel mit einem wundervollen Ort in der Natur, der mich an die Zeit vor dem Jobstress und an meine letzte Beziehung erinnert. Packt mich das Fernweh, träume ich mich dorthin.
    Es ist ein Spätherbsttag zum Abgewöhnen, als ich mit meiner Ex-Freundin, mit der ich mich noch immer gut verstehe, gemeinsam nach Fuerteventura fliege. Wir können zur selben Zeit eine Woche Urlaub nehmen. Warum nicht gemeinsam Ferien auf «unserer» Insel machen?
    Wir wohnen in einem Apartment mit Dachterrasse, Satelliten-TV und zwei Schlafzimmern im Norden Fuerteventuras, abseits des touristischen Firlefanzes rund um die Orte mit den großen TUI-Hotels. Ein winziges Dorf, einen Kilometer vom Atlantik entfernt. Hier gibt es: knapp dreißig Häuser, ein verlassenes Restaurant, das zum Verkauf steht, gut fünfzig Zicklein und Ziegen, einen streunenden Hund, eine Bushaltestelle, eine kleine Kirche, keinen Laden, nicht mal einen Kiosk oder eine Bar. Alle paar Tage irrt ein Tourist auf der Suche nach einer Sehenswürdigkeit durch die vier Gassen des Dorfs. Und alle paar Tage kommt der Ziegenbauer, um sich eines der Zicklein zu holen. Denen, an denen der Kelch vorübergeht, bringt er Wasser und Futter.
    Ist Neumond, wird es nachts so dunkel, dass es einem auf der Terrasse schon unheimlich wird. Der Mietwagen vor der Tür ist nur mit Taschenlampe stolperfrei zu erreichen. Ich glaube, ich habe noch an keinem anderen Ort in so einer natürlichen Dunkelheit

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