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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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Linda darauf, dass ich sie küsste? Musste ich vorher was sagen? »Darf ich dich küssen?«, zum Beispiel oder: »Ich würde dich so gern küssen«? Klang eins so blöd wie das andere. Außerdem: War ich wirklich in Linda verliebt? Konnte man in jemanden verliebt sein, der einem ein blaues Auge, eine geschwollene Nase und zwei brennende Backen verpasst hatte? Und was war eigentlich mit ihr? War sie in mich verliebt? In das Weichei? In den braven Mathefuzzi? Auf der Schule brachte man uns alles Mögliche bei. Warum zum Donner hatte ich nichts gelernt, was ich jetzt brauchen konnte?
    Weil ich nicht wusste, ob ich verliebt war oder ob einfach nur die Gegend unterhalb meines Bauches in Unordnung geraten war, beschloss ich, die Sache mit dem Küssen erst mal zurückzustellen. »Kannst du das Stück spielen, das du bei der Dollhase-Roggenfeld gespielt hast?«, bat ich sie. Vielleicht war Linda jetzt enttäuscht von mir. Jedenfalls hatte ich den Satz unfallfrei rausgekriegt. Angesichts der Tatsache, dass mir mein Körper ansonsten nicht mehr gehorchte, war das eine echte Leistung.

Neuntes Kapitel
    M ein musikalischer Geschmack ist nicht besonders gut entwickelt – äußerst wohlwollend ausgedrückt. Ich kann gerade mal Punk von Soul unterscheiden und Hiphop von Rap. Damit hat es sich dann aber auch.
    Obwohl ich Klavierunterricht bekomme, sieht es bei klassischer Musik noch finsterer aus. Ich kenne natürlich Robert Schumann, denn schließlich muss ich mich mit seinen Kinderstücken rumquälen. Aber sonst? Man könnte mir vorspielen, was man wollte, ich hätte keinen Schimmer.
    Für Linda galt das garantiert nicht. »Toll«, sagte ich, nachdem sie den Schlussakkord gespielt hatte. »Von wem ist das Stück?«
    Sie lächelte. Oh Mann, wenn sie lächelte, kriegte ich das große Zittern. Vielleicht wurde es ja doch noch was mit dem Küssen. Je länger ich in ihrem Zimmer saß, desto mehr wollte ich das. Wollte unbedingt erleben, wie das ist, mit kleinen Sofakissen zu knutschen.
    »Rate«, sagte sie, und ihre Stimme klang so, als hätte sie keine Ahnung, was mit mir los war.
    Bestimmt blamierte ich mich, doch ich tat ihr den Gefallen. »Mozart?«, fragte ich vorsichtig.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Beethoven?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. »Du hast noch einen Versuch«, sagte sie.
    »Schumann?« Das war der letzte klassische Komponist, der mir einfiel. Aber das band ich Linda natürlich nicht auf die Nase.
    »Es war Bach«, antwortete sie. »Johann Sebastian Bach. Präludium in F-Dur.« Sie stand vom Klavierhocker auf, klappte den Deckel des Instruments zu und setzte sich wieder zu mir. »Du hast nicht viel Ahnung von Musik, stimmt’s?«, fragte sie.
    Ich trank meine Cola aus. »Stimmt.«
    »Schade«, sagte sie. »Warum gehst du eigentlich zur Dollhase-Roggenfeld?«
    Das hatte sie schon mal wissen wollen. Damals hatte ich es ihr nicht verraten. Aber jetzt kannte ich sie ein bisschen besser. »Meine Mutter hört gern, wenn ich spiele«, sagte ich.
    »Vielleicht bist du gar nicht so schlecht«, sagte Linda. »Spielst du mir was vor? Bitte!«
    Mir rutschte das Herz in die Hose und von dort aus ohne Halt gleich weiter in die Socken. »Lieber nicht«, murmelte ich. »Du kriegst den Schock fürs Leben.« Um sie von weiteren Überredungsversuchen abzuhalten,fragte ich schnell: »Wieso spielst du eigentlich so gut?«
    »Gut?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Doch dann erzählte sie, dass sie immer davon geträumt habe, Klavier zu spielen. Dass sie vor zwei Jahren zum ersten Mal am Klavier gesessen habe und dass sie an manchen Tagen drei bis vier Stunden übe.
    »Freiwillig?«, unterbrach ich sie.
    Sie nickte.
    »Auch in den Ferien?«
    »Auch in den Ferien.« Dann sagte sie mir noch, welche Komponisten sie besonders mochte. Einer hieß Béla Bartók und die anderen Johannes Brahms, Frédéric Chopin und Franz Schubert. Die Namen klangen so, als wären die Herren schon ziemlich lange tot. Aber das behielt ich für mich. Schließlich wollte ich nicht die gute Stimmung verderben.
    »Bach ist der Größte«, sagte sie irgendwann. »Der Allergrößte.«
    Ich nickte. Ich hätte zu allem genickt, was sie sagte. »Wenn ich Bach spiele, fühle ich mich... fühle ich mich...« Sie brach ab.
    Ich hätte ihr gern gesagt, wie man sich bei Bach fühlt. Doch ich hatte echt keinen Schimmer.
    Es wurde dunkel, draußen gingen die Straßenlaternen an. Linda nahm ein Feuerzeug von ihrem Schreibtisch und entzündete eine Kerze. In ihrem

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