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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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mit roter Sauce bekleckert. Oder war es Blut? Hatte er sich beim Rasieren geschnitten?
    »Wo ist Linda hin?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung«, sagte er. Der Mann mochte mich nicht, das war nicht zu überhören.
    Ich versuchte trotzdem, freundlich zu bleiben. »Wann kommt sie wieder?«, fragte ich weiter.
    »Weiß nicht.«
    »Sagen Sie ihr bitte, dass sie mich anrufen soll?« Er nickte und schloss wortlos die Tür.
    Was war mit dem Typ los? Warum war er so unfreundlich zu mir? Ich hatte ihm doch nichts getan. Und wo war Linda?
    Während ich durch den verwilderten Vorgarten zu meinem Fahrrad zurückging, blieb mein Blick an der Linde hängen, die schräg über das Haus wuchs. Von den höher liegenden Ästen konnte man direkt in Lindas Zimmer und in das Arbeitszimmer ihres Vaters gucken. Wenn ich da nun raufkletterte? Mann, allein bei dem Gedanken wurde mir schon übel. Schließlich war ich bis zu diesem Tag noch nicht mal auf einen krummen Apfelbaum gestiegen. Aber was war, wenn Linda von ihrem Vater gefangen gehalten wurde? Wenn da drinnen was Schlimmes passierte?
    Kurz entschlossen rannte ich zurück zum Haus. Mir war egal, ob es der unfreundliche Typ mitkriegte. Jetzt ging es um Linda! Ich stellte mich unter die Linde, unterdrückte den Schwindel, der in mir hochstieg, atmete tief ein und aus, stieß mich ab und griff mit beiden Händen nach dem untersten Ast.
    Bei meinen ersten Versuchen gelang es mir nicht, dieBeine über den Ast zu schwingen. Doch beim dritten Mal schaffte ich es. Ich zog mich am Stamm hoch und musste feststellen, dass ich nur mit einer Art Aufschwung weiterkam. Um die Haltbarkeit des Asts zu testen, wippte ich ein paar Mal auf und ab – das Holz unter mir gab keinen Laut von sich. Also los!, befahl ich mir und hing im nächsten Moment an dem dicken Ast über mir.
    Obwohl ich mir vor Angst fast in die Hose machte, schaffte ich einen zweiten wackligen Aufschwung. Ich hielt die Luft an, drehte mich so, dass ich den Ast zwischen meine Beine klemmen konnte, und rutschte zum rettenden Stamm hinüber. Nach einer kurzen Pause kletterte ich weiter und hatte endlich das Arbeitszimmer von Lindas Vater vor mir. Er saß an seinem Computer und hämmerte mit zwei Fingern auf die Tastatur ein. Ich reckte meinen Kopf, doch ich entdeckte nichts anderes als das Durcheinander von Aktenordnern und Büchern, das ich schon bei meinem ersten Besuch gesehen hatte. Von Linda keine Spur.
    Also schob ich mich vorsichtig weiter, bis ich in ihr Zimmer sehen konnte. Und diesmal genügte ein einziger Blick: Linda war zu Hause! Mir fiel ein Stein vom Herzen, ach was, es war ein ganzes Felsmassiv. Sie war auch nicht gefesselt und geknebelt. Nein, sie saß in einem ihrer Sitzsäcke, gestikulierte mit Händen und Füßen und lachte.
    Ihr gegenüber hockte ein Junge. Er drehte mir den Rücken zu. Die dichten blonden Haare, der hochstehendeWirbel am Hinterkopf, der muskulöse Nacken – Mensch, das war ja Lennart! Und ich hatte gedacht, Linda hasste ihn! Vor lauter Überraschung vergaß ich, mich festzuhalten, und verlor den Halt. Ich rutschte ab, griff nach Luft, nichts als Luft, schrie, so laut ich konnte, federte wie ein Ball von Ast zu Ast – und landete schließlich schräg auf dem Rücken im Gras unter der Linde.
    Im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon die Haustür und Lindas Vater kam herausgestürzt. Gleich hinter ihm tauchten seine Tochter und Lennart auf.
    Lindas Vater kniete sich neben mich, zog seinen bekleckerten Pullover aus und legte ihn mir unter den Kopf. »Was ist passiert?«, rief er. »Bist du verletzt?«
    Ich versuchte, Arme und Beine zu bewegen. Es tat ziemlich weh, aber es funktionierte. Außerdem brummte mir mal wieder der Schädel, und das nicht zu knapp. »Verletzt? Ich glaube nicht«, murmelte ich. Das Atmen fiel mir schwer.
    »Bist du etwa auf den Baum geklettert?«, fragte Lindas Vater.
    »Ja.«
    »Bist du wahnsinnig?« Er schüttelte mich, zum Glück nicht besonders fest. »Warum machst du so einen Unsinn? Du hättest dir das Genick brechen können, Mensch!«
    Sollte ich dem Mann erzählen, dass ich mir um Linda Sorgen gemacht hatte? Dass ich ihn sogar kurz im Verdacht gehabt hatte, ihr etwas angetan zu haben?
    In diesem Moment beugte sich Lennart über mich. »Spanner«, sagte er und spuckte aus.
    »Ich bin kein...«, versuchte ich, mit schwacher Stimme zu protestieren.
    Doch Lennart schnitt mir das Wort ab. »Spanner«, wiederholte er.
    »Lass Marius in Ruhe«, sagte Linda. »Am besten, ihr

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