Bis Sansibar Und Weiter
»Guter Witz!«, rief er und hustete sich fast die Lunge aus dem Leib. »Verdammt guter Witz!«
Wäre Linda jetzt sauer gewesen, hätte ich das gut verstehen können. Vielleicht war sie es auch, aber sie zeigte es nicht. Im Gegenteil. Sie half, das Schiff von den Leinen zu befreien, mit denen es der Kapitän auf dem Anhänger festgezurrt hatte. Sie gab präzise Anweisungen, während der alte Seemann das Boot mithilfe des Galgens – so nennen Seeleute den Kran – vom Anhänger ins Wasser hob. Sie vertäute die Annemarie mit Vorleine, Achterleine, vorderer Querleine und wie die Dinger sonst noch heißen am Kai. Und sie richtete zusammen mit dem Kapitän den riesigen Mast auf. Ich stand bloß herum und fühlte mich nicht zum ersten Mal total überflüssig.
»Donnerwetter, Deern«, sagte der Kapitän. »Du kennst dich aus. Bist du schon mal gesegelt?«
Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. »Ein bisschen«, antwortete sie schließlich.
Der Kapitän legte mir die Hand auf die Schulter. »Das hätten wir geschafft, Kleiner«, sagte er. »Ging doch fix, oder?«
»Bringen Sie mir jetzt Segeln bei?«, fragte ich.
»Heute bestimmt nicht«, antwortete er und schlurfte zu seinem Dodge. Immer wieder drückte er dabei die Hand in seine rechte Seite. »Soll ich euch nach Hause bringen?«, rief er, ohne sich dabei umzuschauen.
»Nee!«, rief ich.
»Nee!«, rief Linda.
»Na denn«, sagte er, schob sich umständlich hinter das riesige Lenkrad und ließ den Motor an. Aber dann lehnte er sich doch noch mal aus dem offenen Fahrerfenster. »Vertäut das Boot fester!«, brüllte er. »Wir kriegen Sturm!«
Fünfzehntes Kapitel
N achdem der Dodge jenseits der Hafenmeisterei verschwunden war, sicherten wir das Boot mit zwei weiteren Leinen. Eine davon nannte Linda »achtere Querleine«. Die Segler sprechen schon eine verdammt komische Sprache... Jetzt würde der Annemarie jedenfalls kein Sturm mehr was anhaben können. Hoffte ich wenigstens.
Dann nahm Linda Anlauf und sprang elegant an Deck. »Komm schon!«, rief sie mir zu.
»Du warst gestern Abend in unserem Garten«, sagte ich, nachdem ich hinter ihr hergesprungen war. Es sah bestimmt nicht so elegant aus wie bei ihr. »Stimmt’s?«
Sie nickte.
»Hast du was gesucht?«
»Nö«, antwortete sie.
Ich blieb hartnäckig. »Was wolltest du dann?«
»Ich dachte, vielleicht kann ich mit dir reden. Über Lennart und so«, antwortete sie und betrachtete dabei aufmerksam ihre Schuhe.
»Und warum bist du nicht stehen geblieben, als ich dich gerufen habe?«, wollte ich wissen.
Sie drehte nervös an ihrem Pferdeschwanz. »Na ja... ich hab plötzlich gedacht... vielleicht bist du immer noch sauer.«
»Bin ich nicht«, sagte ich.
»Das ist... schön«, sagte sie. Und fragte dann: »Gehört die Annemarie eigentlich dem Kapitän?«
»Nee, mir«, antwortete ich und setzte mich neben sie auf den Kajütenaufbau. »Ich hab sie ihm abgekauft.«
»Aber warum... du... kannst... doch... gar... nicht... segeln«, stotterte sie.
Ich schaute ihr fest in die Augen. »Es sollte eine Überraschung sein«, sagte ich.
»Eine Überraschung?«
»Für dich. Du hast doch gesagt, dass du mit mir nach Sansibar segeln willst.«
Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache. Doch dann fiel sie mir um den Hals und drückte mich, dass mir die Luft wegblieb. Ihr Haar roch umwerfend: nach einer Mischung aus Shampoo und Gras.
Genauso plötzlich, wie sie mich umarmt hatte, löste sie sich von mir. »Bild dir jetzt bloß nichts ein«, murmelte sie.
Ich verstand zwar nicht genau, was sie damit sagen wollte. Trotzdem fühlte ich mich wie im siebten Himmel. Ach was, wie im achten!
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich muss los, mein Vater wartet!«, rief sie.
»Wieso ist er eigentlich so viel zu Hause?«, fragte ich. »Ist er...«
»...arbeitslos?«, schnitt mir Linda das Wort ab. »Nein. Er entwickelt Computerspiele. Ein paar davon kennst du bestimmt. ›Monster-Race‹ zum Beispiel.«
Deshalb also hatte Lindas Vater Masken und Kampfsportgeräte in seinem Arbeitszimmer hängen. Ich sah den Mann vor mir: die zusammengekniffenen Augen, die zerfurchte Stirn, die herunterhängenden Mundwinkel. »Ist er... ist er sehr streng?«, fragte ich weiter.
»Überhaupt nicht. Aber es gibt Tage, da ist er nicht gern allein.« Mit diesen Worten kletterte sie zur Kaimauer hinauf. »Du brauchst nicht mitzukommen!«, rief sie mir zu.
»Wieso denn nicht? Wir nehmen doch denselben Bus!
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