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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht.«
    »Also schön«, sagte sie. »Aber machen Sie mir nicht meinen Ferrari dreckig.«
    »Oma!«, rief ich.
    Der Kapitän legte mir die Hand auf den Arm. »Lass mal, Kleiner«, sagte er. Sein Gesicht war grau, die Haut sah aus wie rissiges Leder. »Sie meint’s nicht so.«
    »Was ist eigentlich mit DD?«, fragte ich Mama, nachdem die beiden davongefahren waren. »Hast du mit ihm gesprochen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt kommt er sowieso nicht«, antwortete sie. »Jetzt ist es ihm hier viel zu laut.«
    Vor dem Zubettgehen öffnete ich noch mal das Fenster. Genau in diesem Moment löste sich eine schmale Gestalt vom Schiff und huschte durch unseren Garten. Mensch, das war bestimmt – »Linda!«, rief ich. »Linda, warte!«
    Die Gestalt blieb für einen Moment stehen und drehte sich zu mir um. Das Gesicht konnte ich nicht erkennen. Aber ich sah blonde Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Dann verschwand die Gestalt zwischen den Brombeerbüschen des Nachbargrundstücks.
    Als ich hinausrannte, war keine Spur mehr von ihr zuentdecken. Das abgeschmirgelte Schiff leuchtete fahl im Mondlicht, die vertrockneten Blätter des Kirschbaums raschelten. Ich lief mit nackten Füßen durchs feuchte Gras und legte kurz die Hand an den Stamm. »Morgen sind wir mit dem Schiff fertig, DD«, sagte ich leise. »Dann kommst du wieder, kapiert?«
    An diesem Abend brauchte ich mal wieder lange, um einzuschlafen. Was hatte Linda bei uns gewollt? Hatte sie gehofft, mich zu treffen? Wollte sie mit mir über Lennart reden? Aber dann hätte sie doch auf mich warten können! Oder hatte sie von der Straße aus das Boot gesehen und hatte es sich aus der Nähe anschauen wollen? Verdammt, ich war mit ihr noch nicht fertig, überhaupt noch nicht. Daran änderte auch Lennart nichts.
     
    Tags darauf baute der Kapitän den durchgefaulten Schwertkasten ab und konstruierte einen neuen. Er hatte alles mitgebracht, was er dafür brauchte: Sägen, Winkeleisen, Klemmen und Marineleim, der, wie mir der alte Seemann versicherte, mindestens bis zum nächsten Jahrtausend halten würde. Es war eine Lösung aus Kautschuk und Asphalt, vermischt mit Teeröl, und roch ziemlich gefährlich.
    Ohne vorher eine Zeichnung angefertigt zu haben, fügte der Kapitän einen perfekten Schwertkasten zusammen. Ich reichte ihm wie eine OP-Schwester das Werkzeug und versuchte, ihm möglichst nicht im Weg zu stehen. Da reagierte er empfindlich, das hatte ich schnell gemerkt. Nur beim Einsetzen des neuen Schwertkastensmusste ich mit anpacken. Hinterher saß die Konstruktion bombenfest.
    »Waren Sie mal Schreiner?«, fragte ich, als wir eine Pause machten. Ich trank Kakao, der Kapitän Kaffee. Mama hatte uns beides zum Schiff gebracht. Wir hatten inzwischen alle Ritzen mit Marineleim verschlossen und waren durstig.
    »Wer Kap Hoorn umsegelt, muss alles können«, antwortete er, griff in die Uniformjacke, die er über die Stuhllehne gehängt hatte, und holte eine kleine Flasche Whiskey heraus. »Zeit für meine Medizin«, erklärte er mit einem schiefen Grinsen und nahm einen mittelgroßen Schluck. Kein Wunder, dass er Schmerzen hatte. Der Mann schien sich nur von Kaffee und Schnaps zu ernähren.
    Nach dem zweiten Frühstück reichte mir der Kapitän einen großen und einen kleinen Pinsel und verteilte das Holzöl in zwei Töpfe. Dann machten wir uns wieder an die Arbeit.
    Das Holz nahm das Öl begierig auf. Manches musste ich zwei- oder sogar dreimal streichen. Aber wo das Öl eindrang, verwandelte sich die Oberfläche auf der Stelle aus einem grauen Nichts in glänzendes Mahagoni.
    Irgendwann schlug die Kirchenuhr sechs, die Sonne ging unter, ein kühler Wind kam auf. Wir traten ein paar Schritte zurück und betrachteten unser Werk. Wenn wir das Schiff in den nächsten Tagen noch dreißigmal ölten, wäre es fast wie neu, sagte der Kapitän. Aber dafür hättenwir keine Zeit, schließlich wolle meine Mutter wieder in Ruhe arbeiten.
    Das Schiff war nicht perfekt geworden; wie sollte es das auch in nur drei Tagen. Die Buchstaben von ANNE-MARIE waren nach wie vor kaum zu lesen, das Messing der Reling war graugrün angelaufen, der Boden des Decks zerkratzt. Trotzdem war es ein wunderschönes Boot. Die Schufterei hatte sich auf jeden Fall gelohnt.
    Der Kapitän legte seine Hand auf meine Schulter. »Was sagst du zu deinem Schiff?«, fragte er.
    »Nichts.«
    »Gefällt es dir nicht?«
    »Und wie!«
    »Aber du hast keine Worte«, sagte er und trank den letzten

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