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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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Schluchzern geschüttelt. »Und ich weiß … ich weiß, dass es mir für meinen Bruder leidtun sollte, dass er … dass …« Sie ringt verzweifelt nach Atem.
    »Bekommst du genügend Luft?«, fragt Guy.
    »Ja … ich meine … nein. Es … es geht … gleich wieder.« Willow atmet ein paarmal zitternd ein und aus und wischt sich dann mit dem Handrücken über die Nase. »Tut mir leid.« Sie lacht kurz auf. »Ich bekomme nie richtig Luft, wenn ich heule … und ich weiß nicht … wann ich das letzte Mal so schlimm heulen musste …«
    Sie wischt sich mit dem Blusenärmel die Tränen aus dem Gesicht, aber es ist genauso zwecklos wie der Versuch, eine Flutwelle aufzuhalten. Sie verschränkt ihre Hand mit der von Guy und sieht ihn an.
    »Es sollte … es sollte mir leidtun für David, weil er auch keine Eltern mehr hat. Und ich weiß … ich weiß, dass … dass es mir für meine Eltern leidtun sollte, weil sie an dem Morgen aufgewacht sind, ohne zu wissen … dass sie den nächsten Tag nicht mehr erleben werden …« Sie umklammert seine Hand so fest sie kann. »Aber ich kann einfach die ganze Zeit an nichts anderes denken, als dass ich niemandes Tochter mehr bin …«
    Wieder ringt sie nach Atem, als der nächste Weinkrampf sie überwältigt.
    »Brauchst du eine Tüte? Das hilft beim Hyperventilie ren …« Guy sieht besorgt aus.
    »Nein … nein … es ist nur … ich bin nie wieder jemandes Tochter.« Sie holt schluchzend Luft. »Und ich … ich weiß schon … warum ich mich geritzt habe … Du denkst vielleicht … dass es nicht so schlimm ist … du denkst, dass Mädchen eben weinen, dass Menschen weinen, aber das stimmt nicht … Alles … alles würde weniger wehtun als das. Ich … Es tut mir leid.« Sie wischt sich übers Gesicht. »Du musst meinetwegen so viel mitmachen, das hab ich nicht gewollt.« Sie schweigt einen Moment lang erschöpft. Ihre Hand ist immer noch mit der von Guy verschränkt, während er ihr mit der anderen behutsam über den Rücken streichelt. »Mir war nicht klar … dass so etwas passieren würde … als ich dich gebeten hab, mit mir hierher zu kommen … Damit hab ich nicht gerechnet … oder vielleicht doch … Ich weiß es nicht.«
    »Mach dir um mich keine Gedanken, Willow.«
    »Ich brauch ein Taschentuch.« Sie zieht die Nase hoch.
    Guy löst seine Hand aus ihrer, zieht das Bündchen seines Sweatshirtärmels runter und putzt ihr damit die Nase.
    »Wow. Sehrromantisch«, sagt sie verlegen.
    »Irgendwie schon, das würde ich nämlich für niemanden sonst auf der Welt tun.«
    »Das … das … das … ist das … Netteste … das … mir …« Sie muss hicksen. »Sorry, ich hyperventiliere nicht nur, sondern bekomme auch Schluckauf, wenn ich so schlimm heule.« Sie zieht seine Hand zu sich heran und schnäuzt sich noch einmal in den Sweatshirtärmel. »Ich bin total eklig«, sagt sie mit einem zittrigen Lachen. »Aber weißt du was? Ich würde mir die Nase bei niemandem sonst auf der Welt mit seinem Sweatshirt putzen.«
    »Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser gegen den Schluckauf?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein danke, aber könntest du mir bitte meine heiße Schokolade holen? Ich hab sie neben der Tür auf dem Boden abgestellt.«
    »Na klar.« Guy steht auf und kommt kurz darauf mit dem Becher wieder zurück. »Hier.« Skeptisch schaut er zu, wie sie einen Schluck von dem mittlerweile eiskalten Getränk nimmt. »Schmeckt das überhaupt noch?«
    Willow verzieht das Gesicht. »Geht so. Irgendwie nach Flussschlamm.«
    »Du weißt, wie Flussschlamm schmeckt?«, fragt Guy und setzt sich wieder neben sie.
    »Ich hab bloß geraten.« Sie stellt den Becher auf den Boden und lehnt sich dann mit einem tiefen Seufzer in die Kissen zurück. »Danke.« Sie dreht ihm den Kopf zu und sieht ihn an.
    »Wofür?«
    »Danke, dass du mich hergebracht hast. Dass du meinem Bruder nichts gesagt hast. Danke, dass du so …«
    »Du weinst schon wieder.« Er nimmt sie in den Arm.
    »Ich weiß. Gib mir dein Sweatshirt.«
    »Okay, warte.« Er wischt ihr mit dem Ärmel die Tränen weg. »Geht jetzt auch der Schluckauf wieder los?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein.«
    »Würdest du gern noch ein bisschen hierbleiben und … keine Ahnung, vielleicht ein wenig schlafen? Oder soll ich dich in die Stadt zurückbringen?«, sagt Guy nach einer kleinen Pause.
    Aber Willow will weder das eine noch das andere. Sie will etwas anderes, und sie ist – nach allem, was in der letzten halben Stunde passiert ist –

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