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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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will, und es macht mich noch verrückt.«
    »Meinst du, wo an meinem Körper oder wo ich bin, wenn ich es tue?«
    »Also eigentlich beides«, antwortet er. Dieses Mal sieht er so aus, als müsste er sich gleich übergeben.
    »Hauptsächlich an meinen Armen«, sagt sie hastig, als wäre es dadurch weniger schlimm. »Und wenn du denkst, dass ich in der Schule keine Gelegenheit dazu hab, irrst du dich. Ich tue es auch zu Hause, wenn ich alleine in meinem Zimmer bin.«
    »Gott«, flüstert er. »Und ich hab gedacht, du hättest keine Gelegenheit dazu.«
    »Aber es kann nichts passieren«, versichert sie ihm. »Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich achte total darauf, dass die Schnitte sich nicht entzünden, und sorge immer dafür, dass ich an einer Stelle nicht zu viel schneide …« Sie verstummt.
    »Natürlich kann dir was passieren, Willow. Dir kann eine ganze Menge passieren.«
    Sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll. Sie fühlt sich plötzlich, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren. Es scheint dunkler geworden zu sein im Raum; ihr kleines sonniges Rechteck ist zu einem schmalen Balken zusammengeschrumpft. Sie rückt etwas näher an Guy heran.
    »Gibst du mir mal deine Tasche?«, fragt er plötzlich.
    Sie versteht nicht, was er damit will, reicht ihm aber achselzuckend ihren Rucksack.
    Er öffnet ihn und holt ihren Geheimvorrat heraus: eine benutzte Klinge, eine, die noch eingepackt ist und die Pflaster und das Desinfektionsmittel, das er ihr mitgegeben hat.
    »Würde wohl nichts nützen, das Zeug wegzuwerfen«, murmelt er, während er die Klingen zwischen den Fingern hin und her dreht.
    »Nein«, stimmt sie ihm zu. »Gar nichts.«
    »Versprich mir was, okay?«, sagt er plötzlich. »Bitte.«
    »Kommt drauf an«, entgegnet sie zögernd.
    »Ich möchte, dass du mich anrufst, wenn du es das nächste Mal tust. Ich meine das ernst. Ruf mich einfach an, wenn es wieder so weit ist.«
    »Wozu?« Sie wundert sich, dass ihre Stimme so scharf klingt. »Damit du mich davon abhalten kannst?«
    »Dich davon abhalten?« Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß ja gar nicht, wie.« Widerstrebend legt er die Rasierklingen in ihren Rucksack zurück. »Ich sag dir, wozu. Ich trau mich nicht mehr, deinen Bruder anzurufen. Ich bin zwar überzeugt, dass du dich täuschst – er würde nicht zusammenbrechen –, hundertprozentig sicher bin ich mir aber auch nicht, und ich habe Angst, es darauf ankommen zu lassen. Aber zumindest mit dir wäre die Sache einigermaßen …«
    »Geritzt?«, kann Willow sich nicht verkneifen zu sagen.
    Guy wirft ihr einen finsteren Blick zu. »Haha. Nein, was ich sagen wollte, ist, dass es zwischen uns zumindest keinen Grund für Heimlichtuereien mehr gibt. Hör zu, wenn du mich anrufst, dann weiß ich, dass es dir … na ja … ich weiß dann zwar, dass es dir nicht gut geht, aber wenigstens …« Er lässt den Satz unvollendet.
    »Aber wenigstens?«, hakt sie nach.
    »Aber dann weiß ich wenigstens, dass du nicht verblutest, verdammt!«
    Dazu fällt Willow nichts ein. Seine heftige Reaktion macht sie betroffen, sie passt so gar nicht zu ihm. Stumm sieht sie zu, wie er ein Blatt aus einem ihrer Hefte reißt und etwas drauf notiert.
    »Hier. Das sind die Nummern, unter denen du mich erreichen kannst, okay?«
    »Warum tust du das?« Sie schreit es fast. »Du musst mir nicht helfen. Du musst nicht mit mir reden. Warum tust du das überhaupt? Was soll das? Du hättest gestern auch nicht meinen Arm verbinden müssen und du hast es trotzdem getan. Niemand zwingt dich dazu. Ich ganz bestimmt nicht. Ich will nicht, dass du das alles für mich tust. Und ich werde dich wahrscheinlich auch nicht anrufen.«
    »Ich kann nicht einfach so tun, als ob nichts passiert wäre. Und weißt du was? Du kannst es auch nicht.«
    »Und ob ich das kann«, widerspricht sie heftig. »Und es würde mir noch nicht einmal schwerfallen, ich …«
    »Na klar«, fällt Guy ihr ins Wort. »Du bist ja so hart, deswegen hast du neulich ja auch dafür gesorgt, dass Vicky keinen Stress bekommt.«
    Einen Augenblick hat Willow keine Ahnung, wovon er redet. »Ach, du meinst dieses Mädchen im Physikraum?«, fragt sie schließlich ungläubig.
    »Genau die.« Er nickt.
    »Da täuschst du dich aber gewaltig in mir«, antwortet sie. »Du hältst mich für lieb und nett? Soll ich dir mal sagen, was ich in dem Moment wirklich über sie gedacht hab? Ich fand sie erbärmlich, ich hab sie für eine totale Loserin gehalten!«
    »Ich weiß.

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