Bis unter die Haut
zusammengekniffenen Augen versucht er, ihre Handschrift zu entziffern.
»Anthropologie«, antwortet Willow. »Aber theoretisch könnte es auch …«
»Den Rest krieg ich allein hin«, unterbricht er sie. »Warte in der Anthro-Abteilung, okay? Ich geb dir dann gleich Bescheid.«
Willow dreht sich um und geht davon, bleibt unterwegs aber bei den britischen Importen hängen.
Zerstreut blättert sie in ein paar Büchern herum. Bis auf die Pflichtlektüren für die Schule hat sie seit dem Tod ihrer Eltern nichts mehr gelesen. Dabei waren Bücher früher – sie zu lesen, aber auch sich über sie zu unterhalten – für sie genauso lebensnotwendig wie Essen. Der Einzige, mit dem sie in letzter Zeit über Bücher gesprochen hat, ist Guy …
»Ich hab doch gesagt, du sollst in der Anthro-Abteilung warten«, reißt der Typ von der Information sie aus ihren Gedanken. »Und das Buch, das du suchst haben wir zwar nicht da, aber wir können es besorgen.«
»Das ist ja toll!« Willow ist mehr als erleichtert. Sie hatte schon befürchtet, mit leeren Händen gehen zu müssen.
»Jep.« Er stochert sich in den Zähnen herum, während er sie von oben bis unten mustert. »Extrem seltene Rarität, hundertsechsundachtzig Dollar, maximal sechs Wochen Wartezeit, wahrscheinlich aber bloß drei. Ach ja, und bezahlen musst du jetzt gleich. Na ja, du weißt schon – wir wollen auf so einem teuren Buch natürlich nicht sitzen bleiben, falls du es dann doch nicht nimmst.«
»Ich … wie bitte?«
Hundertsechsundachtzig Dollar? Drei bis sechs Wochen?
Sie hatte damit gerechnet, dass es nicht ganz billig werden würde, und bereits ein paar Extraschichten in der Bibliothek eingeplant, aber …
Hundertsechsundachtzig Dollar!
Das verschlägt ihr die Sprache.
»Also, was ist?«
Willow kann ihn nur stumm anstarren. Ist zu keinem klaren Gedanken fähig.
»Willst du das Buch jetzt haben oder nicht?«, hakt er nach. »Hey, alles in Ordnung? Du siehst irgendwie gar nicht gut …«
»Bloß ein kleiner allergischer Anfall.« Sie reibt sich die Augen.
»Echt? Ich bin auch Allergiker. Also, willst du das Buch jetzt bestellen?
»Ich … ähm …«
»Wohnst du in der Nähe?«, fragt er plötzlich. Offensichtlich ist es ihm ziemlich egal, ob sie das Buch bestellt oder nicht. »Ich spiel in ’ner Band und wir proben hier um die Ecke jeden Mittwoch und Freitag nach der Arbeit. Komm doch mal vorbei und hör dir unsre Musik an. Können danach ja noch zusammen abhängen.«
Das ist jetzt nicht wahr!
»Danke, ich … Nein. Nein, tut mir leid. Das Buch ist zu teuer für mich. Und ich wohne …«
Willow dreht sich abrupt um und lässt ihn einfach stehen. Sie muss jetzt allein sein. Und zwar schnell.
Sie schiebt sich an den anderen Kunden vorbei, hält verzweifelt nach einer Ecke Ausschau, in der sie einen Moment für sich sein kann. Aber egal welchen Gang sie ansteuert, überall steht jemand und stöbert in den verstaubten alten Bänden.
Nach einer Weile ist sie fast völlig orientierungslos. Ihr ist heiß, und die stickige und staubige Luft raubt ihr den Atem. Dieser Laden ist einfach mit zu vielen Erinnerungen belastet und außerdem ist sie unendlich enttäuscht.
Als sie sich dem hintersten Teil des Antiquariats nähert, entdeckt sie endlich einen Gang, der bis auf einen Kunden, der gerade herausschlendert, leer ist.
Sie schiebt sich eilig an ihm vorbei und lässt sich erschöpft gegen eines der Metallregale fallen. Ihr Atem geht stoßweise, langsam sinkt sie zu Boden und vergräbt den Kopf in den Händen.
Was hast du dir bloß dabei gedacht?
Sie hätte es wissen müssen. Egal, was sie auch anfasst, alles geht schief. Warum hätte es denn ausgerechnet diesmal anders laufen sollen? Sie hätte sich auch schon vorher denken können, dass das Buch zu teuer für sie ist. Dass es nicht einfach im Regal stehen und nur darauf warten würde, von ihr gefunden zu werden. Und ihr hätte auch klar sein müssen, dass es nichts ändert, wenn sie es findet.
Aber ich hatte gehofft …
Langsam hebt sie den Kopf. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie wichtig es ihr war, dieses dämliche Buch zu finden und es David schenken zu können. Heute Morgen hatte sie sich noch eingebildet, den perfekten Plan zu haben, aber jetzt fragt sie sich, ob die Idee nicht genauso platt gewesen ist wie ihre Versuche, ihn mit irgendwelchen albernen Komplimenten aufzuheitern. Sie schämt sich, so oberflächlich zu sein.
Und vor allem schämt sie sich dafür, ernsthaft geglaubt zu
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