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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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gefragt, ob … Was ist denn das …« Er fasst über den Tisch nach ihrer Hand. Diesmal ist seine Berührung grob, fast schon brutal, und sie keucht erschrocken auf.
    Er dreht ihre Handfläche nach oben und starrt auf die dünne Linie getrockneten Bluts auf ihrem Handballen.
    »Es ist nicht das, was du denkst.«
    »Nicht?«
    »Nein.« Willow rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und weicht seinem bohrenden Blick aus. »Na schön, es ist wirklich nicht das, was du denkst, okay? Aber nicht, weil ich es nicht versucht hätte.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Das heißt, dass ich es tun wollte, aber nicht konnte. Ich bin gestört worden. Hör zu, willst du mir wirklich helfen?«
    »Ja.«
    »Dann lass uns über was anderes reden.«
    »Okay«, sagt Guy. »Worüber?«
    »Keine Ahnung …« Sie stützt das Kinn in die Hand und überlegt kurz. »Was weiß ich … Zum Beispiel übers Wetter.«
    »Übers Wetter?«
    »Ja. Erzähl mir etwas über das Wetter in Kuala Lumpur.«
    »Das hatten wir doch schon.« Er verschränkt die Arme vor der Brust und verdreht die Augen.
    »Dann erzähl mir eben, wie es war, dort zu leben.«
    »Kann es sein, dass Kuala Lumpur irgendwie zur fixen Idee für dich geworden ist?«
    »Mir gefällt der Name«, antwortet sie achselzuckend.
    »Meinetwegen.« Guy wartet, bis der Kellner ihre Bestellung gebracht hat. »Also, du willst wissen, wie es dort war? Anders. Und damit meine ich wirklich alles. Die Menschen, die Häuser, das Essen, die ganze Kultur. Alles war anders. Ich hätte genauso gut auf einem fernen Planeten sein können. Aber ich hab mich nicht wirklich wohlgefühlt, weil, na ja … die Zeit dort war irgendwie ziemlich schwierig für mich.«
    »Schwierig? Aber das klingt doch total spannend«, sagt Willow verwundert. »Du hast in einer völlig anderen Kultur gelebt, konntest viele Bücher lesen …« Sie verstummt, als ihr klar wird, wie oberflächlich sie sich anhört – ähnlich wie Laurie mit der Bemerkung, wie süß es doch eigentlich sei, dass ihr Bruder das alles für sie tut. »Entschuldige. Warum war es schwierig für dich?«
    Gott! Warum isst sie nicht einfach ihren Kuchen, trinkt ihren Cappuccino und macht dann, dass sie wegkommt? Und ihn vergisst.
    »Nein, ich kann schon nachvollziehen, warum du das sagst.« Guy seufzt. »Und es war ja auch nicht alles schlecht, im Gegenteil. Wir sind unglaublich viel herumgekommen, haben unter anderem auch kurz in Thailand gelebt, und es war wahnsinnig spannend, diese völlig andere Welt so hautnah zu erleben. Aber ich hatte einfach ständig das Gefühl, nicht dazuzugehören. Sogar die Kinder, mit denen ich täglich zu tun hatte, und die Schule, auf die ich ging, waren ganz anders. Das waren alles superreiche englische Kids, die mir genauso fremd waren wie alles andere dort, nur dass von mir erwartet wurde, so zu sein wie sie. Aber das war ich nicht, und das war …«
    »Schwierig«, beendet Willow den Satz für ihn. »Das klingt wirklich nicht gerade einfach. Aber weißt du, was ich denke?«
    »Nein, was?«
    »Dass du damals ein Außenseiter warst, ist vielleicht der Grund dafür, warum du dich für Anthropologie interessierst. Das hat wahrscheinlich angefangen, lange bevor du irgendwelche Bücher gelesen oder die Vorlesung von meinem Bruder gehört hast. Eine andere Kultur von außen zu betrachten ist doch genau das, worum es in der Anthropologie geht.«
    »So hab ich das bis jetzt noch nie gesehen.« Guy trinkt einen Schluck Kaffee. »Ich hab mich immer nur darüber beklagt, dass ich nicht dazugehört habe, aber wahrscheinlich hast du recht.« Er sieht sie eine Weile schweigend an. »Statt über dich und deine Probleme zu reden, quatsch ich dich hier mit meinem alten Kram voll.«
    »Ach was, überhaupt nicht. Im Gegenteil, es ist total entspannend, sich die Probleme von jemand anderem anzuhören, glaub mir.«
    »Aber irgendwie ist es ja auch dein Problem. Außenseiter zu sein, meine ich. Zumindest hältst du dich für einen.«
    »Hm.« Willow sieht auf ihren Teller hinunter. Er hat natürlich nicht unrecht, aber seltsamerweise hat es sie überhaupt nicht an ihre eigene Situation erinnert, als er von sich erzählt hat. Wenn es nach ihr geht, bleibt das auch so.
    »Und Thailand?«, sagt sie schließlich. »Ich nehme mal an, dass das Wetter dort auch nicht viel besser war? Oh, warte kurz.« Ihr Blick fällt auf etwas Rotes, das draußen vor dem Fenster aufblitzt. »Vergiss das Wetter in Thailand, ich hab etwas, das viel interessanter ist.«

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