Bis unter die Haut
haben, sich Davids Liebe mit einem albernen Buch zurückkaufen zu können.
Plötzlich wird sie ganz ruhig und öffnet ihren Rucksack. Sie spürt nichts von der verzweifelten Dringlichkeit, die sie sonst erfüllt. Diesmal ist es eher wie etwas, das unvermeidlich ist, etwas, das getan werden muss.
Sie krempelt den Ärmel hoch, betrachtet ihren Arm und schüttelt den Kopf. Sie muss auf jeden Fall warten, bis diese Schnitte verheilt sind, bevor sie an der Stelle weitermachen kann. Bleiben noch die Beine, aber mitten in einer Buchhandlung ist das ist nicht so einfach. Sie beugt sich trotzdem vor und schiebt die Jeans am linken Bein ein Stück nach oben.
»Verzeihung.«
Sie schaut erschrocken auf, als jemand über sie hinwegsteigt und nach einem Buch greift.
Kann denn nicht endlich mal irgendetwas klappen?
Frustriert lässt sie die Klinge in der Faust verschwinden, wo sie schmerzhaft in den Handballen schneidet.
Gut!
Aber mehr bekommt sie vorerst nicht. Es ist sowieso Zeit, zu gehen. Sie muss zur Arbeit.
Sie schiebt das Hosenbein wieder hinunter und steckt die Rasierklinge in die Tasche zurück. Als sie aufstehen will, fällt ihr Blick auf ein abgegriffenes, aber hübsches, in Leder gebundenes kleines Buch, das etwas hervorsteht. Sie zieht das Buch heraus, streicht über den blauen Ledereinband, dann blättert sie durch die eselsohrige Ausgabe von Der Sturm und versucht, die verblassten Anmerkungen zu entziffern, die ein früherer Leser mit lila Tinte an den Rand geschrieben hat.
»Lässt du mich kurz durch?«
Sie hebt den Blick und sieht einen unglaublich süßen Typen über sich stehen. Wahrscheinlich ein junger Schau spieler.
»Ja natürlich, Entschuldigung.« Sie rappelt sich auf und beugt sich noch einmal hinunter, um den Sturm wieder ins Regal zurückzustellen, überlegt es sich dann jedoch spontan anders, klemmt sich das Buch unter den Arm und macht sich damit auf den Weg zur Kasse.
Sie weiß selbst nicht, warum sie es kaufen will. Sie hat das Stück schon tausendmal gelesen und im Moment sowieso keine Zeit für Bücher, die nichts mit der Schule zu tun haben. Außerdem liegen zu Hause diverse Ausgaben davon herum.
Aber vielleicht …
Wahrscheinlich wird er es seltsam finden, ein gebrauchtes, mit Anmerkungen vollgekritzeltes Buch geschenkt zu bekommen. Wahrscheinlich wird er es seltsam finden, dass sie ihm überhaupt etwas schenkt.
Sie versteht sowieso nicht, warum sie Guy plötzlich etwas schenken will.
Unwillkürlich berührt sie den Schnitt, den er verarztet hat.
Sie muss es ihm nicht schenken. Sie muss gar nichts damit machen. Sie kann es auch einfach wegschmeißen. Es ist egal, sie hat einfach Lust, es zu kaufen.
Außer dass sie findet, dass er den Sturm wirklich lesen sollte.
Vielleicht war ihr Besuch hier doch nicht völlig umsonst, denkt sie, als sie das Buch bezahlt und zur Bibliothek eilt.
»Da sieht aber jemand ganz schön zerzaust aus!« Carlos zwinkert ihr zu, als sie erhitzt, außer Atem und fast zwanzig Minuten zu spät in die Bibliothek stürmt. »Hast du was Schönes gemacht?«
»Nicht wirklich.« Willow verstaut ihren Rucksack unter der Ausleihtheke. »Wie ist denn ihre Laune?«, flüstert sie, während sie sich ihr Namensschildchen an die Bluse steckt.
»Du hast Glück, sie ist gar nicht da. Notfall-Wurzel behandlung.«
»Autsch«, sagt sie mitfühlend und setzt sich auf einen der Rollhocker.
»Frag mich, ob sonst noch irgendwas Interessantes passiert ist«, fordert Carlos sie auf. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und sieht sie mit funkelnden Augen an.
»Ist sonst noch irgendwas Interessantes passiert?«, plappert sie brav nach, ist mit den Gedanken aber ganz woanders. Ob sie wohl ein paar Hausaufgaben erledigen kann? Schließlich ist Miss Hamilton nicht da und …
»Es hat jemand nach dir gefragt.«
»Nach mir?« Sie sieht überrascht auf. »Bestimmt mein Bruder, oder?«
»Also echt!« Carlos verdreht die Augen. »Ich weiß doch, wer dein Bruder ist. Nein, jünger. In deinem Alter. Ein Typ«, fügt er hinzu. »Ich hab ihn schon mal hier gesehen.«
»Oh.« Willow überlegt kurz. Dann kann es eigentlich nur Guy gewesen sein. »Was wollte er?«
»Wissen, ob du heute arbeitest.«
»Und was hast du gesagt?«
»Dass du gleich kommst, was denn sonst.«
»Aha.« Sie zuckt mit den Achseln und versucht so gleichgültig wie möglich auszusehen. »Dann kommt er vielleicht später noch mal vorbei.«
»Nicht nur vielleicht.« Carlos rollt mit seinem Hocker zurück und
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