Bis unter die Haut
gehört hat.
»Aber da fehlt ja noch was«, stellt er stirnrunzelnd fest. »Du hast noch gar keine Widmung reingeschrieben.«
»Oh, daran hab ich gar nicht gedacht … Ich … ich hätte auch gar nicht gewusst, was«, stammelt sie verlegen.
»Dann hol es doch einfach irgendwann nach«, sagt er.
Sie beobachtet ihn, während er die erste Szene liest. Kein Zweifel, sein Lächeln ist echt. Und sie kann nicht anders, als zu denken, dass sie wenigstens ihm eine Freude gemacht hat.
KAPITEL NEUN
»Das können wir aber leider nur bis morgen ausleihen«, sagt Willow, während sie den Ausweis des Mädchens überprüft.
»Länger brauch ich es nicht, ich muss die Hausarbeit sowieso morgen abgeben«, antwortet das Mädchen etwas außer Atem und nimmt das Buch entgegen. »Danke.«
»Viel Glück mit der Arbeit«, ruft Willow ihr hinterher, als sie bereits die Treppe hinunterstürmt.
Sie lässt sich wieder auf ihren Hocker fallen und zwingt sich dazu, nicht zum tausendsten Mal auf die Uhr zu schauen. Ihre Schicht ist erst in einer Stunde zu Ende, aber sie langweilt sich jetzt schon schrecklich.
»Und, wie ist es gelaufen?«, fragt Carlos, der plötzlich hinter ihr auftaucht.
»Ach, das Übliche«, antwortet Willow mit Unschuldsmiene. »Eine Fernleihe oder so was hat sie nicht gebraucht.«
»Scherzkeks!« Er knufft sie in die Seite. »Du weißt genau, was ich meine.« Grinsend zieht er sich einen Hocker heran und setzt sich neben sie. »Versüß mir den Tag, Baby. Na los, erzähl schon!«
»Kannst du nicht irgendjemand anderem auf die Nerven gehen?«, sagt Willow.
»Nein.«
»Also gut.« Sie seufzt. »Ähm … es war nett. Wir waren in einem Café um die Ecke – die haben da superleckeren Erdbeerkuchen.«
»Wenn ich eine Restaurantempfehlung brauche, schau ich ins Internet.«
»Wieso interessierst du dich so dafür, wie es war?«, fragt sie ihn erstaunt.
»Weil ich dich noch nie so lächeln gesehen habe.« Carlos rollt ein Stück mit seinem Hocker zurück und sieht sie mit fast schon feierlicher Miene an.
Oh.
»Ha! Du solltest mal dein Gesicht sehen!« Er lacht. »Ich wollte dich doch nur ein bisschen aufziehen, klappt gut bei dir. Warum machst du nicht einfach Schluss für heute?«
»Aber meine Schicht ist doch erst in einer Stunde vorbei«, meint Willow.
»Ich hab dir doch gesagt, dass heute kaum was los ist, und das bisschen krieg ich auch allein hin«, versichert Carlos ihr. »Du arbeitest sowieso zu viel.«
»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.« Sie denkt an die leuchtend rote Sechs unter der Französischklausur in ihrem Rucksack zwischen den ganzen überfälligen Hausaufgaben, die darauf warten, erledigt zu werden. »Aber danke, das ist echt nett von dir, Carlos, das Angebot nehme ich gern an.« Wenn er sie schon so bereitwillig gehen lässt, wäre sie dumm, die Chance nicht zu nutzen. Sie steht auf und sucht unter der Theke ihre Sachen zusammen.
»Reiner Eigennutz«, entgegnet Carlos trocken. »Dafür kannst du nächste Woche eine meiner Schichten übernehmen.«
»Sehr gerne«, ruft Willow über die Schulter zurück und eilt immer zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter. Es muss an dem ganzen Kaffee liegen, den sie heute schon getrunken hat, anders kann sie sich nicht erklären, dass sie auf einmal so beschwingt ist.
Daran, dass sie eine Dreiviertelstunde früher gehen durfte, kann es ja wohl kaum liegen. Oder daran, dass sie bis morgen noch hundertfünfzig Seiten im Bulfinch lesen und dann endlich mit dem blöden Essay anfangen muss.
Und schon gar nicht an der Tatsache, dass sie sich dringend noch etwas einfallen lassen muss, wie sie Davids Unterschrift fälschen kann.
Als sie daran denkt, bekommt ihre gute Laune prompt einen Dämpfer.
Plötzlich bleibt sie abrupt stehen. Ein paar Meter vor ihr geht David über den Campus. Er hat sie ebenfalls gesehen und winkt, während er auf sie zukommt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie ihm hier über den Weg läuft, schließlich arbeitet er hier …
Trotzdem steigt sofort ein unbehagliches Gefühl in ihr auf, und das liegt nicht nur daran, dass sie vorhat, seine Unterschrift zu fälschen. Die zufällige Begegnung erinnert sie vielmehr daran, wie es früher gewesen ist, wenn sie sich auf dem Campus getroffen haben.
Sie denkt an einen Tag Anfang März, nur ein paar Tage vor dem Unfall, zurück. Es war unglaublich kalt, grau und windig gewesen, und sie und Cathy hatten vor Kälte gebibbert, weil sie viel zu dünn angezogen waren.
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