Bis unter die Haut
Es war ja eigentlich auch schon so gut wie Frühling gewesen. David hatte mit Cathy geschimpft, weil sie keine wärmere Jacke mitgenom men hatte, aber nicht böse, nur besorgt. Immerhin war sie damals schon im siebten Monat schwanger.
Sie waren in ein Restaurant gegangen, wo die beiden sich den ganzen Abend mögliche Namen für das Baby überlegt hatten. Sie hatte sich unendlich gelangweilt. Obwohl sie sich natürlich total darauf gefreut hatte, bald Tante zu werden – sie war die Erste ihrer Freundinnen gewesen, die mit sechzehn schon eine Nichte oder einen Neffen bekam.
Jedenfalls hatten sie sich an diesem Abend auf einen Namen geeinigt: Helen, wie die schöne Helena aus der Ilias , Davids Lieblingsepos aus der griechischen Antike. Er war sich sicher, dass ihre Eltern den Namen auch mögen würden.
Das ist gut möglich. Willow hat sie nie danach gefragt. Und sie bekamen nie die Gelegenheit, ihr erstes Enkelkind zu sehen.
Isabelle war der zweite Name ihrer Mutter. Sie kam sechs Wochen zu früh auf die Welt, was heutzutage nichts Besorgniserregendes mehr ist, aber Willow ist sich sicher, dass es nicht passiert wäre, wenn Cathy diese Aufregung erspart geblieben wäre.
Manchmal wundert sie sich, dass Cathy ihr überhaupt ins Gesicht schauen kann.
»Hallo!« David bleibt vor ihr stehen. »Ich bin auf dem Nachhauseweg, aber mit dir hätte ich jetzt noch gar nicht gerechnet. Du bist früh dran, oder?« Er verlagert das Gewicht der Bücher, die er sich unter den Arm geklemmt hat. »Alles in Ordnung? Geht es dir nicht gut oder hast du Ärger mit Miss Hamilton?«
»Weder noch«, versichert Willow ihm schnell. »Es war nur so wenig los heute, dass ich früher gehen durfte.«
»Schön.« David nickt. »Dann können wir ja zusammen nach Hause gehen. Ich wollte nur noch kurz zu … Oh, hallo, Stephen«, begrüßt er einen großen, etwas zerzaust wirkenden Mann, der in dem Moment an ihnen vorbeikommt.
Willow hat keine Ahnung, wer Stephen ist. Sie sieht ihn heute zum ersten Mal und wartet geduldig darauf, dass David sie vorstellt.
»Was machst du denn hier?«, fragt David.
»Hey, David! Ich bin gerade dabei, mich an ein paar Unis zu bewerben, und hab gehört, dass an der Fakultät hier im Herbst eine Dozentenstelle frei werden soll, und da dachte ich, ich komm mal vorbei und schau mich ein bisschen um.« Stephen scheint es etwas unangenehm zu sein, dass er David nichts davon erzählt hat.
»Ich hab von der Stelle gehört«, entgegnet David. »Aber ich glaube, die ist unter deinem Niveau.« Er boxt Stephen grinsend in die Seite.
»Spinnst du? Ich wäre total glücklich, wenn die mich nehmen würden. Hey! Ich hab gehört, dass du geheiratet hast.«
»Da hast du richtig gehört.« David nickt. »Ich kann es manchmal selbst kaum fassen. Erinnerst du dich noch an Cathy? Wir haben geheiratet und eine Tochter bekommen, Isabelle.«
»Das gibt’s doch nicht! Dabei ist es gerade mal anderthalb Jahre her, seit ich dich zuletzt gesehen hab! Unglaublich, wie viel sich in so kurzer Zeit verändern kann. Was ist seitdem sonst noch so passiert?«
Willow wirft David einen besorgten Blick zu. Sie weiß, wie unangenehm ihm die Frage sein muss und wie schwer es ihm fallen wird, darauf zu antworten.
»Ja, es ist wirklich unglaublich, wie viel sich in so kurzer Zeit verändern kann«, sagt David nach einer kurzen Pause.
»Genau, was soll im Leben eines Mannes auch sonst Wichtigeres passieren, als dass er heiratet und Vater wird?« Stephen lacht. »Und erzähl mir jetzt bitte nicht, du hättest schon eine Festanstellung in der Tasche – so ein Wunderkind bist du nämlich auch wieder nicht.«
»Großer Gott, nein. Ich wünschte, es wäre so.« David fällt in sein Lachen mit ein.
Willow ist vollkommen sprachlos. Natürlich hätte sie es ganz furchtbar gefunden, wenn David diesem Typen erzählt hätte, dass er nicht nur geheiratet hat und Vater geworden ist, sondern auch seine Eltern verloren hat. Aber dass er gar nichts sagt.
»Und wer ist das?« Stephen sieht sie an. »Eine Studentin?«
»Ach, entschuldige bitte! Ich weiß nicht, wo ich meinen Kopf heute habe. Stephen, dass ist meine Schwester Willow.«
»Deine Schwester!« Stephen hält ihr die Hand hin. »Studierst du hier?«
»Nein, ich …«
»Willow lebt jetzt bei Cathy und mir«, unterbricht David sie, ohne zu erklären, warum das so ist.
»Hey, das muss total klasse für dich sein.« Stephen zwinkert ihr lächelnd zu. »Gott, ich weiß noch genau, wie es war, als ich
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