Bis wir uns wiedersehen (German Edition)
verstanden sie sich ganz gut und hatten dieselben Interessen. Sie kamen aus derselben Ecke des Landes, waren auf derselben High School gewesen. Vielleicht wollte er auch nur etwas Zeit mit jemandem verbringen, der ihm ähnlich war. Scarlett hatte auch kein Problem, mit Ray, Marc oder sonst einem ihrer Freunde essen zu gehen, wenn Jay nicht dabei war. Je mehr sie darüber nachdachte, umso klarer wurde ihr, dass sie ohne weiteres mit Charlie essen gehen konnte. Sie hätte nicht einen Gedanken an Jay verschwendet, wenn Charlie eine Frau gewesen wäre. Und wo lag schon das Problem, wenn sie mit einem Freund, egal ob männlich oder weiblich - essen ging.
"Ich werde es tun", sagte sie schließlich, als sie den letzten Rest Tartufo aus ihrem Becher löffelte.
"Du - du gehst mit ihm essen?" Carrie grinste.
"Ich denke schon. Du hast recht damit, dass ich es irgendwann wohl bereuen würde, wenn ich es jetzt nicht tue. Und dass ich mich vermutlich für den Rest meines Lebens fragen würde, was aus der Sache geworden wäre, wenn ich mit ihm essen gegangen wäre. Und vielleicht verliert er ja sogar völlig den Reiz, wenn ich einen Abend mit ihm verbringe!"
Carrie grinste immer noch.
"Obwohl ich mich gleichzeitig mies fühle, weil ich das Gefühl habe, Jay zu betrügen!"
"Scarlett, ich finde, das, was Jay an deinem Geburtstag getan hat, mit dieser Tussi, der er Champagner oder was auch immer von der Brust geleckt hat, ist viel schlimmer, als ein Abendessen mit einem Typen, den du interessant findest. Du gehst nur essen mit ihm. Es ist ja auch nicht fremdgehen, wenn du allein essen gehst und ein Typ neben dir auch allein da ist, und ihr quasi nebeneinander esst!"
"Das ist nun doch etwas an den Haaren herbei gezogen", grinste Scarlett.
"Wie dem auch sei - aber was machst du dann noch hier am Tisch? Solltest du ihm nicht zusagen?"
"Nein, jetzt doch nicht! Ich werde ihn fragen, ob er noch Lust auf ein Essen hat, wenn ich ihm die Infusion abnehme und ihn entlasse!"
"Gute Idee", antwortete Carrie und widmete sich dann dem letzten Stück Vanillepudding auf ihrem Teller.
Scarlett hatte den Rest des Nachmittages unglaublich gute Laune. Nach dem essen hatte sie zwei Patienten und verbrachte den Rest der Zeit, bis Charlie entlassen werden sollte damit, Ihre Patientenakten zu aktualisieren und sich auf den Dienst am kommenden Tag vorzubereiten. Pünktlich um drei Uhr Nachmittags öffnete sie die Tür zu Behandlungszimmer 5.
Ihr breites Lächeln erstarb, als sie anstelle von Charlie, Dr. Visner im Behandlungsraum 5 vorfand, der gerade etwas auf einem Klemmbrett notierte. Ebenfalls im Zimmer war Mandy McIntyre, eine weitere Krankenschwester, die das Bett gerade frisch bezog.
"Dr. Visner, wo ist der Patient, der in diesem Zimmer gelegen hat", fragte Scarlett und musste ihre Enttäuschung verbergen.
"Ich habe ihn vor einer halben Stunde entlassen. Die Infusion war durchgelaufen und seine Werte waren so stabil wie die eines jungen Pferdes!"
"Oh", machte Scarlett.
"Ist alles in Ordnung?" Dr. Visner sah sie an.
"Natürlich, vielen Dank, dass sie mir diese Arbeit abgenommen haben", lächelte Scarlett, machte auf dem Absatz kehrt und verließ enttäuscht Behandlungsraum 5.
Wenige Stunden später, die Abendsonne hatte Long Island bereits in heimeliges Licht getaucht, saß Charlie auf der Couch in seinem Wohnzimmer. Er hatte sich trotz der warmen Temperaturen mit einer flauschigen grünen Decke zugedeckt, fühlte sich geborgen und hatte und seinen Laptop auf dem Schoß. Wendy war für eine Woche mit Freundinnen in ein auf einer Wellenliehn Wellnesshotel gefahren, von dem er nur wusste, dass es schweineteuer war (er hatte die Rechnung übernommen), jedoch nicht, wo es lag. Es war ihm auch egal, bzw. in gewisser Weise nur recht. Immerhin hatte er so die Möglichkeit, sich einen Plan zurecht zu legen, mit ihr Schluss zu machen. Wendy war zwar heiß gewesen, als er mit ihr zusammengekommen war, doch mittlerweile war sich nichts Besonderes mehr für ihn. Ganz im Gegenteil, sie nervte ihn mit ihrer aufdringlichen Piepsestimme und er kam sich eher vor, wie ihr Vater, als ihr Liebhaber, mit all den Fragen, die sie ständig stellte. Er genoss die Ruhe und dachte darüber nach, dass Bob im Sommer mit seiner Familie nach Florida wollte. Er beneidete Bob. Okay, Ellen war sechsunddreißig, hatte gute 20 Pfund zuviel auf den Rippen und Kinder wollte er ohnehin nicht haben. Doch Bob hatte etwas, was er, Charlie, nicht hatte. Beständigkeit. Einen Platz im Leben,
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