Bis wir uns wiedersehen (German Edition)
auch daran lag, das Scarlett nicht den wahren Trennungsgrund - Jays Fremdgehen und sein eigenartiger Sinneswandel - preis gegeben hatte. Sie war der Ansicht, dass sie ihre Familie nicht auch noch mit ihren Beziehungsproblemen belasten wollte. Und außerdem hätte es nur genervt, wenn abwechselnd ihre Mutter und ihre Großmutter angerufen und ihr Mitleid kund getan hätten. So hatte sie einfach gesa auf einer Wellenliehngt, man habe sich auseinandergelebt und sich im guten getrennt. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Im Gegenzug dazu musste sie sich nun mit den Versöhnungsratschlägen ihrer Mutter herumschlagen. Sie fixierte den Boden des Lifts, zeichnete mit den Augen das Muster im Boden nach und versuchte, die Stimme ihrer Mutter auszublenden, die darüber lamentierte, dass man Tiefpunkte am besten gemeinsam bewältigen sollte und dass Jay doch so ein feiner Kerl war. Sie bemerkte, dass noch jemand den Lift betreten hatte, was es ihr noch unangenehmer machte, mit ihrer Mutter zu telefonieren.
"Soll ich Jay vielleicht einmal anrufen", schlug Grace vor.
"Mom, wag es ja nicht. Ich weiß nicht, wie oft ihr dir noch erklären soll, dass diese Sache für mich als beendet gilt. Ich weiß nicht, warum du das nicht begreifen willst oder kannst. Ich muss jetzt auflegen, ich hab hier im Lift keinen Empfang!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, beendete sie das Gespräch und ließ das Telefon in ihre Handtasche gleiten. Sie lehnte sich an die rückwärtige Wand des Liftes, schloss die Augen für einen Moment und konnte es nicht erwarten, eine heiße Dusche zu nehmen und sich die halbe Speisekarte vom Zimmerservice liefern zu lassen.
"Langsam glaub ich wirklich, sie stalken mich!"
Im ersten Moment dachte sie, sie hätte eine Halluzination. Nach diesem anstregenden Tag mit all den Seminaren und Vorträgen, dem Sturm und der Flugverspätung wäre es ganz gut möglich, dass sich Charlies Stimme in ihr Hirn einschlich. Sie öffnete ihre Augen und traute ihnen im selben Moment nicht. Die Person, die in den Lift gestiegen war, während sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte, war Charlie. In Fleisch und Blut, und nicht nur in ihrem Kopf.
"Charlie!" Sie war überrascht. Trotz allem, was im Oktober vorgefallen war, freute sie sich, ihn zu sehen. Vermutlich hatte die Zeit die "Wunden" wieder einmal geheilt. "Was machen sie denn hier?"
"Tagung der Rechtsanwaltskammer - ich bin Vortragender", sagte er. "Und sie?"
"Ärztekammer - nur Zuhörerin", grinste sie. In den vergangenen Wochen hatte sie Charlie wieder aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Seit dem Abend im Times Center hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Dass sie ihm gegenüber jetzt nicht feindselig gestimmt war, wunderte sie.
"Dann sitzen sie also auch hier fest", meinte Charlie, während der Lift nach oben fuhr.
"Ja, ich hätte eigentlich heute Abend nach New York zurückfliegen sollen. Allerdings ist mein Flug gestrichen und auf Montag Vormittag verlegt worden - wenn das Wetter mitspielt!" Sie freute sich, Charlie zu sehen, wenn auch etwas Wehmut in ihrer Gefühlslage mitschwang. Sie wusste immer noch nicht, ob er noch mit der Kosmetikschul-Freundin zusammen war, oder aber, ob er inzwischen zu der Schnepfe von der Charity übergewechselt war. Der Lift hielt an und sie stiegen aus.
"Wohnen sie auch auf diesem Stockwerk", fragte Scarlett, als Charlie ihr folgte.
"Ja, Zimmer 3822", sagte Charlie und wedelte mit seiner Schlüsselkarte. "Und sie?"
"Zimmer 3886 - also ganz am anderen Ende!" Sie machte Anstalten, nach rechts - in die Richtung, in der ihr Zimmer lag, abzubiegen.
"Scarlett, warten sie", sagte Charlie und berührte sie am Oberarm.
Sie sah ihn an.
"Ich...hätten sie Lust, mit mir essen zu gehen. Ich meine, immerhin sitzen wir ja im selben Boot. Zwei New Yorker hier beruflich in Vermont...und außerdem denke ich, dass es etwas gibt, was ich ihnen erklären muss!"
Scarlett lächelte. Nichts hätte sie lieber getan, als mit Charlie einen Abend zu verbringen, doch zum einen war es war Charlies eventuell immer noch vorhandene Freundin, die sie davon abhielt, zuzusagen, zum anderen die Sache, wie er sie auf der Charity behandelt hatte. Obwohl die Freundin ja scheinbar kein Problem mehr sein sollte. Im Times-Center hatte er ihr gesagt, dass das, was er ihr auf einer Wellenliehn zu sagen hatte, nichts mit einer anderen Frau zu tun hatte. Aber, sagte das eine denn tatsächlich aus, dass er Single war? Immerhin hatte
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