Bis wir uns wiedersehen (German Edition)
geschrieben hatte, erzählte von einem Typen namens Ulysses, der zwei Klassen über ihr war und in den sie zum ersten Mal verliebt war, der sie jedoch, wie all die anderen, keines Blickes würdigte. Sie las von Begebenheiten im Sommercamp, von noch mehr Streitereien mit ihren Brüdern, Klassenkameraden und Freundinnen und je älter sie wurde, mehr und mehr von Liebeskummer.
Nach fast drei Stunden legte sie die Tagebücher zur Seite. Sie war gerade bei jenem Buch, das sie als sechzehnjährige verfasst hatte. Auf dem Teller mit den Lachshäppchen waren nur noch einige einsame Krümel übrig und das Glas Wein war geleert. Sie sah auf die Uhr und bemerkte, dass es bereits nach elf war. Sie nahm sich vor, die Tagebücher mit nach Portland zu nehmen und sie dort weiter zu lesen, fernab von Terminen und Verpflichtungen. Scarlett stellte das Teller mit den Lachskrümeln und das Weinglas in den Geschirrspüler und beschloss, die Kindheitsrelikte zurück in die Kiste zu packen, damit sie nicht im Weg herumlagen. Sie beugte sich über die Kiste und wollte gerade ihre alten Schulhefte wieder zurück packen, als etwas rotes hinter einem Polster hervor schimmerte, den sie im Werkunterricht bemalt hatte. Sie legte die Schulhefte zur Seite und zog den roten Stofffetzen hervor, der sich als jene rote Hose entpuppte, die sie einst so heiß geliebt hatte. Fast ehrfürchtig faltete sie die Hose auseinander und strich sanft darüber. Darunter fand sie jenes weiße Shirt, das sie an dem Tag ihrer Verabredung mit Chuck getragen hatte. Und plötzlich entdeckte sie noch etwas. Eine pinkfarbene Mappe, die mit einem schwarzen Gummi zugehalten wurde. Sie zog die Mappe heraus, öffnete sie und fand einen Schwung Gedichte, die sie einst geschrieben hatte, Zeichnungen und Fotos. Und dann einen dicken Stapel weißer Blätter, beidseitig beschrieben, die von einer Büroklammer zusammengehalten wurden. All die Briefe, Nachrichten und Chatverläufe, die sie seinerzeit mit Chuck, dem Studenten der Columbia verfasst hatte.
Beinahe ehrfürchtig nahm Scarlett den Stapel Papier aus der Mappe heraus. Es mussten an die 300 Seiten sein, dicht beidseitig beschrieben. Auf dem ersten Blatt des Stapels, es vergilbte bereits leicht, hatte Scarlett mit einem schwarzen Fasermaler "Chuck + Scarlett" geschrieben und mit einem rosa Leuchtstift ein Herz darum gemalt.
"Er hieß Chuck, nicht Buck", murmelte sie, während sie die Blätter durch die Finger gleiten ließ. Sie wusste, dass es spät war und sie eigentlich ins Bett gehen sollte, doch der Stapel ließ ihrCharles William Andrew Harrisoniehn keine Ruhe. Sie musste zumindest ein wenig darin schmökern. Sich in die Zeit zurückversetzen, in der sich alles plötzlich geändert hatte. Und den Mann wieder aufleben lassen, der die Änderung erst angestoßen hatte. Was Chuck wohl heute machte?
Scarlett packte die anderen Relikte zurück in die Kiste und schob sie unter den Frühstückstresen, damit sie nicht im Weg stand. Sie wollte sie am Wochenende näher inspizieren und dann vielleicht in den Speicherschrank im Foyer bringen. Schließlich setzte sie sich mit dem Chuck-Stapel auf die Couch und begann, die ersten Zeilen des Chat-Gespräches zu überfliegen. Anfangs hatten sie sich ganz allgemein über verschiedene Dinge unterhalten, wie alt sie waren, wo sie zur Schule gingen, was er studierte und was sie studieren wollte. Sie sprachen über Sportmannschaften, die sie gut fanden, und über Kinofilme, die sie in letzter Zeit gesehen hatten. Dann fiel ihr Blick auf ein Datum.
Scarlett:Wann hast du eigentlich Geburtstag?
Chuck:Ich hatte erst kürzlich - am 27. Juli
Scarlett:Und in welchem Jahr bist du geboren?
Chuck:1972. Bin ich dir zu alt?
Scarlett:Zu alt? Wir chatten doch nur!
27. Juli 1972. Genau an diesem Tag war auch Charlie geboren. Scarlett stutzte einen Moment und sagte sich, dass das vermutlich nur ein dummer Zufall war. Wieviele Menschen hatten wohl noch am 27. Juli 1972 Geburtstag. Sie ließ sich nicht davon beirren und las weiter. Las darüber, dass sie beide Independence Day mit Will Smith mochten und dass sie beide auf dem Bon Jovi-Konzert in Flushing gewesen waren.
Chuck:Hör mal Kleine, die Bibliothek hier macht gleich dicht. Wenn du möchtest, können wir uns aber noch weiter am Telefon unterhalten. Hast du Bock?
Scarlett:Klar, warum nicht. Her mit deiner Nummer!
Chuck:0173-555-365812 und deine?
Scarlett:0173-555-854479 wir
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