Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Stück höher zu legen und einen dreisaitigen Baß für sich bauen zu lassen.
Es gab auch noch Walter November, damals dritter Gitarrist und ziemlich »unplugged« (»November« bezog sich ziemlich eindeutig auf Gene October, den legendären Chelsea-Sänger). Walter hatte das schlimmste Rhythmusgefühl, was ich je bei einem Säugetier bemerkt habe. Er sah einfach nur gut aus, konnte aber nicht fünfmal in Folge die Saiten im gleichen Zeitabstand anschlagen. Es machte nicht »demm, demm, demm, demm, demm«, wenn Walter spielte, sondern »demm, demmdemm, demmdemm« oder »demmdemm-demm, demm, demm« oder so, jedenfalls immer anders. Kuddel hat mal versucht, ihm etwas beizubringen; er wollte auch trainieren, aber es war zwecklos. So wurde der smarte Walter auf der Bühne eigentlich nur ausgestellt: Wenn er hinten in die Anlage reinsprang, war das immer ein Treffer, auch wenn dabei das Kabel aus dem Verstärker flog. Niemand stöpselte dieses Kabel wieder ein, niemand, und Walter wußte das. Aber bald wurde er darüber immer paranoider und sagte: »Irgendwann merken die das, irgendwann werde ich erwischt.« Ich dachte nur: »Na und? Was ist denn schlimm daran?«
Etwas später kam dann die große Zeit der Luftgitarrenspieler, die alle nur so taten, als ob sie richtig spielten, und sich ganz auf die Bühnenaction konzentrierten. Das hätte eigentlich Walters Epoche werden müssen. Aber zu der Zeit hatte er gerade wegen eines religiösen Schubs seine gesamten Punkplatten zerhackt und war in Mettmann abgetaucht, um als Zeuge Jehova auf dem Jubiläumsplatz den »Wachturm« feilzubieten.
Walter warf also ziemlich bald das Handtuch, was vom Sound her kaum einer merkte. Was Walter eigentlich hatte spielen sollen, lieferte ab Herbst schon Breiti. Breiti war eine Entdeckung von Trini, der ihn auf dem Video des ZK-Abschiedsgigs in Neuss in der ersten Fan-Reihe sah, wie er eine Fahne schwenkt und vor der Bühne rumgröhlt. Trini ' sagte: »Hey, wer ist der Typ, den müssen wir haben!« Zufällig war es ein Freund aus meiner Klasse, der uns gut fand, ohne sich anzustrengen, genauso sein zu wollen, und der mit vierzehn eine Wandergitarre geschenkt bekommen hatte. So ein Proll mit Eigensinn und Stolz und fransigen Scheißhaaren, die ihm bis heute LKW-Fahrer-mäßig im Gesicht hängen. Es gab keinen anderen Kandidaten für die Rhythmusgitarre, also luden wir ihn einmal in den »Proberaum« ein. Und siehe da - er konnte ein paar Akkorde schrammein.
Dieser »Proberaum« war genau genommen die Küche von Trinis Pseudo-Loft auf der Kölner Straße. Es gab einen Fabrikanbau im Hof, wo Trini auf einer Etage lebte und wir uns ohne Belästigung unseren drei Akkorden und dem Wechsel dazwischen widmen konnten. Wann immer eine Polizeistreife vorfahren wollte, die von den natürlichen Feinden aller Musiker, den »Anliegern«, zu Hilfe gerufen wurde - sie kam nur bis zum Eingangstor am Vorderhaus, das wir abgeschlossen hielten. Man rätselte eine Weile, woher der Lärm kommen könnte, rüttelte zweimal am Tor und drehte dann ratlos ab. Es war also genau der richtige Proberaum.
Bis einen Tag vor unserer ersten Tour waren wir in diesem Herbst 1982 auf Klassenfahrt in Glasgow. Breiti und ich teilten uns ein Zimmer. Ich ging essen, spazieren, saufen, kicken, doch Breiti blieb die ganze Zeit im Hotel. Von morgens bis abends ackerte er auf seiner Akustikgitarre an den Riffs unserer ersten Stücke. Ließ den Kassettenrekorder die Songs wieder und wieder abspulen und riß sich die Finger auf, um synchron zu sein. Stur, blöd, lastwagenfahrerartig. Als er zurückkam, hatte er von Glasgow so gut wie nichts gesehen. Aber er beherrschte das komplette frühe Hosen-Programm und konnte mit uns auf Tournee gehen, und da sah er dann viel mehr - Saarbrücken, Hof, Osnabrück, all die Metropolen der deutschen Provinz.
Da waren mit Kuddel, dem Spielverderber-Virtuosen, also dreieinhalb Gitarreros auf der Bühne, und genauso sollte es auch sein. Die Idee war ja, die Band so groß werden zu lassen wie es nur irgendwie ging. Wir wollten mit möglichst vielen Leuten unterwegs sein, weil wir dachten: Je mehr Leute dabei sind, desto mehr Spaß haben wir. Es ging um das Auf-Tour-Sein an sich - und nicht als Mittel zu dem Zweck, sein auf Vinyl gepreßtes Zeug unters Volk zu bringen (an der Vinyl-Front hatten wir noch null am Start). Hier und jetzt sollte es abgehen, nicht in zig Jahren auf einem Kontoauszug. Viele Instrumente, besonders Gitarren, sollten den Sound so
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